»Fußball ist Emanzipation«
Bei »Discover Football« begegnen sich Frauen aus aller Welt – nicht nur zum Fußballspielen
Eine Woche lang ist das Willy-Kressmann-Stadion in Berlin-Kreuzberg durch und durch rosa. Pinkfarbene Stoffbänder schmücken das Geländer, alte Stühle sind liebevoll in altrosa und magenta lackiert und auch die selbst genähten Sitzkissen leuchten in unterschiedlichen Pinktönen. Denn hier wird nicht nur Fußball gespielt. Bei dem internationalen Frauenfußball-Turnier und -Festival »Discover Football« kommen Frauenteams aus aller Welt zusammen, um einander zu begegnen und über die Benachteiligung von Frauen in ihrer Heimat zu berichten – zum Beispiel auf dem »Pinken Sofa«. Manchmal steht aber allein der Fußball im Mittelpunkt.
Etwa wenn Brasilianerinnen gegen eine kamerunische Auswahl das Eröffnungsspiel bestreiten. Das Team aus Südamerika hätte noch viele weitere Tore schießen können. Doch auch das 9:0 sprach am Ende für eine klare Überlegenheit. Weitere Treffer verhinderte nur die kamerunische Torhüterin Marie Claire, die sich immer wieder den Frauen von Estrela Sports in den Weg stellte. Das Fußballspiel endete mit einem Ergebnis wie bei den Profi-Frauen. Doch hier spielten nicht die Nationalteams gegeneinander, sondern Brasilianerinnen aus den Favelas von Rio de Janeiro und Frauen aus dem entlegenen Südwesten Kameruns. Eine wahrscheinlich einmalige Begegnung.
Ermöglicht wurde das Spiel von engagierten Frauen aus Berlin, die im zweiten Jahr in Folge »Discover Football« organisieren. Parallel zur offiziellen Weltmeisterschaft (WM) der Frauen lud der Verein »Fußball & Begegnung« sieben Teams aus aller Welt zu einem Turnier in Kreuzberg ein. Noch bis Sonntag werden insgesamt acht Teams um den silbernen Pokal spielen. Der Sieg ist dabei nur nebensächlich. Für die meisten Frauen ist es nicht nur ihr erstes internationales Fußball-Turnier, sondern auch ihre erste Reise ins Ausland.
Gesang und Tanz trotz Niederlage
»Wir sind den Rasen nicht gewöhnt«, erklärt Marie Claire die Schwierigkeiten ihres Teams gegen die Brasilianerinnen. »In Nelo spielen wir auf festem Boden. Hier bleiben wir im Gras hängen.« Im nächsten Spiel werde es schon besser klappen. Marie Claires Team NELO Mamfe, das sie als Kapitänin anführt, blieb nicht lange traurig. Gleich nach der 60-minütigen Partie analysierten die Betreuer die Fehler. Nach ein paar Minuten begannen die Spielerinnen auf der Tartanbahn zu singen und zu tanzen. »Wir sind einfach glücklich, hier zu sein«, sagt Marie Claire.
Extra für das internationale Turnier wurde der Rasen, auf dem sonst ausschließlich männliche »Mann«schaften spielen dürfen, neu verlegt. 2010 wurde »Discover Football« bei ebenso warmem Sommerwetter noch auf einem Kunstrasenplatz ausgetragen. Nicht nur die sportlichen Bedingungen haben sich im Vergleich zu damals verbessert. »An der Vorbereitung waren viel mehr Leute beteiligt. Ich habe zum Beispiel meine Schwester mit eingespannt«, erzählt Annika Schauer vom »Discover Football«-Team. In diesem Jahr gibt es zahlreiche Workshops und Veranstaltungen für Mädchen und junge Frauen aus dem Kiez. Allein 40 Mädchen haben sich zum mehrtägigen Fußballcamp angemeldet, das mit den Schulferien am Donnerstag begann.
Die 26-jährige Annika war als Spielerin des Berliner SV Al-Dersimspor dabei, als in der Kreuzberger Frauenelf die Idee zu »Discover Football« entstand. Nach einem Freundschaftsspiel gegen die iranische Nationalelf in Teheran, das in dem Kinofilm »Football Under Cover« dokumentiert ist, wollten die Frauen ein Turnier für Teams auf die Beine stellen, die sonst nie gesehen werden.
Gespräche über Aids in der Halbzeitpause
Ziel sei es gewesen, solch eine Veranstaltung parallel zur Frauen-WM zu machen. Während »Discover Football« im letzten Jahr noch die Alternative zur Männer-WM in Südafrika darstellte und auf die große Verbreitung von Frauenfußball aufmerksam machte, ist das Festival nun in das offizielle Kulturprogramm des Deutschen Fußballverbandes (DFB) zur derzeitigen WM aufgenommen worden. Einen Großteil der Finanzierung tragen das Auswärtige Amt und das Bundesinnenministerium. Trotz der Unterstützung durch die Behörden, kam es auch in diesem Jahr zu Problemen bei der Anreise der Teams. Warum die afghanische Nationalelf, die im letzten Jahr noch das Aushängeschild der Veranstaltung war, plötzlich abgesagt hat, wissen die Organisatorinnen nicht zu beantworten. Im letzten Jahr konnte bereits ein Team aus Liberia nicht bei »Discover Football« teilnehmen, weil die deutsche Botschaft an der Rückkehrwilligkeit der Spielerinnen zweifelte.
»Fußball ist ein guter Ort für Begegnung und Verständigung«, ist sich Annika sicher. »Du wirst nie zwei Kinder in einem Hinterhof mit einer Dose Volleyball spielen sehen.« Das weiß Annika aus eigener Erfahrung. Seit ihrem fünften Lebensjahr spielt sie Fußball. Zunächst mit den Jungs, später in einem Mädchen-Team. Im letzten Jahr wechselte die Sozialwissenschaftsstudentin zum ebenfalls in Kreuzberg beheimateten Türkiyemspor Berlin. »Discover Football« ist sie treu geblieben.
Auch Männer helfen beim Festival mit – sei es am Merchandise-Stand, wo das Sammelalbum mit allen Teams, T-Shirts und Taschen angeboten werden, oder als Balljungen auf dem Rasen. Doch die Frauen aus Afrika, Indien, Brasilien oder dem Nahen Osten stehen im Mittelpunkt der Veranstaltung. Frauen, die in ihren Heimatländern noch immer mit gesellschaftlichen Widerständen zu kämpfen haben. Die beim Fußballspielen belächelt werden, ein Kopftuch tragen müssen oder denen das Spielen sogar verboten wird. Bei »Discover Football« sollen sie deshalb frei von Diskriminierung den Sport ausüben können, der ihnen so viel Freude bereitet.
Für Lizette, Trainerin von NELO Mamfe – eines von insgesamt drei afrikanischen Teams bei »Discover Football« – ist klar: »Fußball ist Emanzipation«. Der Sport sei nicht nur gut für die Gesundheit, sondern gebe den Frauen auch die Möglichkeit, andere Leute zu treffen. »Dabei gibt es keinen Rassismus«, so Lizette.
Auch Marie Claire hält es für selbstverständlich, dass Frauen Fußball spielen. Sie ist seit sieben Jahren aktiv. »Dabei geht es nicht darum, Männern gleich zu sein, sondern gleichberechtigt zu sein«, so Marie Claire. In Nelo, der ländlichen Region im Südwesten Kameruns, werden Frauen aber noch immer von Männern dominiert. Beim Thema HIV und Aids glauben viele von ihnen, nur Frauen könnten sich anstecken.
Dass viele Menschen schlecht über Aids Bescheid wissen, versuchen die Frauen von NELO Mamfe mit ihren Fußballspielen zu ändern. Bei den Partien verteilen sie Flyer und machen mit Plakaten auf die Gefahren von Aids aufmerksam. »Wir versuchen, den Menschen klarzumachen, dass sie sich auf mehreren Wegen anstecken können«, erklärt Lizette. In sogenannten »Half-Time Talks« (Halbzeit-Gesprächen) sprechen die Fußballerinnen der insgesamt 15 Teams in der Region über Aids-Prävention. Als Teil der Nichtregierungsorganisation ELENA kümmern sich die Frauen auch um Waisen und versuchen, die gesellschaftliche Akzeptanz von HIV-Infizierten zu stärken.
Nicht alle Spielerinnen konnten anreisen
Marie Claire ist nicht von HIV betroffen. Die 20-Jährige geht noch zur Schule und will beim »Discover Football«-Turnier von den anderen Spielerinnen lernen. Ihre fußballerischen Vorbilder sind die Brasilianer Marta und der Portugiese Ronaldo, aber auch die drei kamerunischen Eto'o-Brüder, die es in die besten Clubs Europas geschafft haben, bewundert Marie Claire. »Es wäre mein größter Traum, auch in solch einem Team zu spielen«. Doch jetzt ist sie erst einmal froh, in Berlin zu sein. Für Marie und das gesamte NELO Mamfe-Team, ist es die erste Reise aus Kamerun. Um die dafür nötigen Pässe zu bekommen, haben die Verwandten der Frauen viel Geld und Nerven aufbringen müssen, obwohl Fußball in Kamerun ein anerkannter Sport ist. Doch die Region Nelo wird von der Regierung des Landes nicht unterstützt, Frauenfußball schon gar nicht. »Meine Familie ist arm, trotzdem wollen sie, dass ich weiter mache«, sagt Marie Claire.
Im zweiten Spiel von NELO Mamfe – dieses Mal gegen Frauen aus den Banlieus von Lyon – läuft es besser. Die im Vergleich zu ihren Mitspielerinnen kleine Marie Claire hält erneut viele Torschüsse. Dieses Mal muss die junge Frau – mit einer Wollmütze auf dem Kopf, aber ohne Handschuhe spielend – nur fünf Tore hinnehmen. Jubel kam bei den Frauen aus Kamerun auf, als sie selbst ihr erstes Tor erzielten. Mit 2:5 unterlagen sie dennoch deutlich.
Der Freude über die gemeinsamen Erlebnisse bei »Discover Football« sind aber auch Grenzen gesetzt. Unverständnis und Trauer herrschen nicht nur darüber, dass die iranische Sportfotografin Maryam Majd kurz vor ihrer Abreise zur WM nach Deutschland vom iranischen Regime inhaftiert wurde, sondern auch, weil drei Spielerinnen des Teams Mifalot Hinuch nicht anreisen konnten. Die Palästinenserinnen wurden von ihrem Umfeld so stark unter Druck gesetzt, dass sie ihrem Team mit Frauen aus Israel und Jordanien absagten. So wird »Discover Football« ungewollt politischer als es sich die Veranstalter wünschten. »Nicht alle, die wir eingeladen haben, konnten kommen – aber auch das ist eine wichtige Botschaft«, heißt es dazu auf einem Plakat.
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