Hugo Chávez kehrt aus Havanna zurück
Erkrankung des Präsidenten überschattet die Feiern zur 200-jährigen Unabhängigkeit Venezuelas
Die Entwarnung kam rechtzeitig vor den Feierlichkeiten: »Der Tumor war niemals lebensgefährlich«, sagte Vizepräsident Elias Jaua der Zeitung »El Universal« und fügte hinzu: »Natürlich wird er 2012 als Präsident wiedergewählt.« Am Montagfrüh landete Venezuelas Präsident Hugo Chávez in Caracas und sprach von einem »Beginn der endgültigen Rückkehr«. Er werde künftig die Anweisungen seiner Ärzte diszipliniert befolgen und wahrscheinlich die Feierlichkeiten am Dienstag nicht anführen.
Am 5. Juli wird ein für Venezuela und ganz Lateinamerika geschichtsträchtiger Tag begangen. Am 5. Juli vor genau 200 Jahren erklärten die Abgeordneten des Ersten Nationalkongresses von Venezuela die Unabhängigkeit von der spanischen Krone. Aus dem darauf folgenden Krieg gingen die republikanischen Kräfte um Nationalheld Simón Bolívar schließlich siegreich hervor. Geschichte schreiben sollte auch die ursprünglich für heute und morgen auf der venezolanischen Isla Margarita vorgesehene offizielle Gründung der »Gemeinschaft lateinamerikanischer und karibischer Staaten« (CELAC).
Die neue Regionalorganisation wäre der erste Zusammenschluss aller lateinamerikanischer Staaten des Kontinents, der ohne Kanada und die USA auskommt. Symbolisch steht CELAC somit für das in den letzten Jahren gestiegene lateinamerikanische Selbstbewusstsein und die Verwirklichung des Traums von Bolívar. Großen Anteil an der Renaissance des Pan-Amerikanismus hat ohne Zweifel der venezolanische Präsident Hugo Chávez, der sich seit seinem Amtsantritt 1999 unermüdlich für die Süd-Süd-Integration einsetzt.
Mitte vergangener Woche sagte die venezolanische Regierung das geplante Gipfeltreffen jedoch ab. Als Begründung wurde der Gesundheitszustand von Präsident Chávez angeführt, der sich bereits seit dem 8. Juni in Kuba in Behandlung befindet. Dass Chávez sich die 200-Jahr-Feiern entgehen lassen würde, deutete darauf hin, dass er doch schwerer erkrankt sein könnte, als offiziell bekannt.
Wochenlang hatte es in den Medien Spekulationen über eine mögliche Krebserkrankung des Staatschefs gegeben. Die restriktive Informationspolitik der venezolanischen Regierung tat ihr Übriges. Am Donnerstag informierte Chávez die Öffentlichkeit schließlich in einer etwa 15-minütigen Rede, die er entgegen seiner Gewohnheiten vom Blatt ablas, über die erfolgreiche Entfernung eines bösartigen Tumors.
Die Opposition forderte bereits seit Mitte Juni die sofortige Rückkehr Chávez', andernfalls solle er die Präsidentschaft auf seinen Vertreter Elías Jaua übertragen. Es könne nicht sein, dass Venezuela von Kuba aus regiert werde, »sei es nun von Hugo Chávez oder Fidel Castro«, beschwerte sich die Abgeordnete María Corina Machado. Die Regierungsmehrheit im Parlament genehmigte die Abwesenheit des Präsidenten jedoch. Eine Übertragung der Kompetenzen lehnte das chavistische Lager geschlossen ab. Chávez sei »absolut in der Lage, das Land weiter zu regieren«, betonte Jaua am Freitag. Der Präsident werde sich die nötige Zeit zur Genesung nehmen.
Chávez' plötzliche Erkrankung verdeutlicht das Problem: Eine Weiterführung und Vertiefung des bolivarianischen Prozesses ohne seine Person scheint zum gegenwärtigen Zeitpunkt schwer vorstellbar. Es gibt keinen Plan B, sollte Chávez etwa bei den Präsidentschaftswahlen 2012 nicht antreten können. Keinem möglichen Kandidaten aus dem Regierungslager wird auch nur annähernd die Fähigkeit zugesprochen, die heterogenen bolivarianischen Kräfte zusammenhalten zu können.
Eine kollektive Führung des Prozesses wurde bisher nicht aufgebaut. Chávez gilt an der Basis als Garant dafür, dass Positionen von unten nach oben durchdringen, während viele andere Politiker und Funktionäre eher von oben nach unten agieren. »Wenn wir die Armut abschaffen wollen, müssen wir den Armen Macht geben.« Diesen Satz verkörpert trotz aller realpolitischen Widersprüche in Venezuela niemand so sehr wie Chávez.
Noch ist nicht absehbar, welche Auswirkungen seine Erkrankung auf die venezolanische Politik haben wird. Eine längere Abwesenheit oder gar ein Ausscheiden aus der Politik könnte der Opposition Aufwind verschaffen, auch wenn diese sich bisher fast ausschließlich über die Ablehnung des Präsidenten definiert. Aber auch rechte, bürokratische Sektoren im Regierungslager könnten gestärkt werden. Die Folge wären zunehmende Konflikte zwischen Regierung und Basissektoren. Sollte Chávez genesen und wie geplant bei den Wahlen 2012 antreten, wäre jedoch ebenso das Gegenteil denkbar.
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