"Zieht mal die Shirts aus und tanzt auf der Bühne!"
Frauenpower mit "The Pretty Reckless", Melissa auf der Maur und "Guano Apes" beim 45. Montreux Jazz Festival
Derzeit machen Auftritte von "The Pretty Reckless" meist wegen der gewagten Outfits der 17-jährigen Frontfrau Taylor Momsen Medienschlagzeilen. Sie provoziert gern mit Strapse und Lederjacke und wenig mehr auf der Haut. Das Model trat in Montreux einigermaßen "anständig" vors Publikum – ein Metallica-Shirt musste reichen. Ihre weiblichen Fans kombinieren jedenfalls Zahnspangen mit natürlicher Unbekümmertheit und Selbstbewusstsein. Dem Aufruf "Zieht mal die Shirts aus und tanzt auf der Bühne" folgten in Montreux denn auch bereitwillig viele Mädchen und feierten mit ihrem Idol ausgelassen. Allerdings überzeugen die New Yorker auch musikalisch. Die Titel ihres Debüt-Albums "Light me up" bieten hartem schnörkellosen Rock, direkt gespielt und hervorragend komponiert.
Lärmgewitter gingen über Montreux nieder und längst aus dem Traditionskanon der Musikwelt verdrängte Gitarren- und Drumsoli machten die Rockparty rund. Bei "Nothing left to lose" geben sich die Rebellen anfangs wie die letzten Übriggebliebenen einer Outdoor-Feierei am Baggersee, die am Feuer noch zur Gitarre singen. Ausdrucksvoll spielt Taylor Momsen die Stärken ihrer wandelbaren Stimme aus - die dreckige Grundierung immer durchscheinend. Plötzlich gibt die Autobatterie wieder etwas Saft und mit Wattpower entwickelt sich der Titel zu einem furiosen Finale. Der Schlagzeuger wollte die tolle Stimmung festhalten und hielt mit einer Digitalkamera aufs Publikum – die Fotosouvenirs der Musiker entwickeln sich vielleicht noch zum Running-Gag der 45. Festival-Auflage.
Nach so einem kräftigen Aufschlag fiel Melissa auf der Maur mit ihrem Programm ab. Sie wirkt immer etwas zu routiniert und einen Takt zu maniriert und wenn sie süßlichen Chorgesang ihrer männlichen Kollegen mit Stimmakrobatik à la Lene Lovich kombiniert verbessert sich der Eindruck nicht wirklich. Ihr Musikangebot wurde andernorts als "Alt-Rock" bezeichnet und das trifft das konturlose Rockeinerlei sehr gut. Letztes Jahr fehlte sie bei der Eröffnung des Festivals wegen Air Canada - doch nach ihrem Auftritt frage ich mich, wie sie das Auditorium Stravinski hätte begeistern wollen. Oder vielleicht war gestern nicht ihr bester Tag.
Mit dem Abend versöhnten die wieder vereinten "Guano Apes" um Sandra Nasic. Spielfreudig machen sie vergessen, dass die Gründung schon im Jahr 1990 erfolgte. Nur beim Rausschmeißer "Lord of the boards" kommentierte die Sängerin, dieser Titel hätten sie geschrieben, "when we were pretty young". Doch auch das neue Material vom Nummer-Eins-Album"Bel Air" überzeugte. Und mit "Big in Japan" gelang ein derart rotzfreches Cover, was sich Marian Gold von "Alphaville" wohl kaum hätte träumen lassen. Die "Affen" - Leuchtbuchstaben auf der Bühne bieten dem Nicht-Kenner Orientierung - bieten beste deutsche Schwerstarbeit in der Abteilung metalllastiger Crossoverprojekte. Der Auftritt in Montreux macht Appetit auf die kommende Tour - im Oktober ist Start und die Reise soll bis Februar gehen.
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