Preiswerter Putin?
Wladimir Putin verdient keinen Preis. Findet Erika Steinbach von der CDU. Und Cem Özdemir. Der grüne Schwabe hat die Jury des »Quadriga«-Preises, der Putin am 3. Oktober verliehen wird, verlassen. Unter Protest. Putin habe als russischer Staatschef »die Demokratie zurückgebaut, Freiheiten eingeschränkt, den Rechtsstaat ausgehöhlt und Russland der Korruption preisgegeben«, erklärte schließlich Markus Löning (FDP) stellvertretend für ein wachsendes, empörtes schwarz-gelb-grünes Lager mit schwachem Langzeitgedächtnis.
Ist jenen Bedenkenträgern das Russland der 90er Jahre nicht mehr erinnerlich? Oder war ihnen die unregierte Chaoswüste, die Boris Jelzin 1999 an Putin übergeben hat, lieber als der nun wieder erstarkende Riese im Osten?
Als Putin antrat, erreichte die Korruption in Russland gerade ihr Allzeithoch. Im Vergleich dazu herrschen heute fast schon geordnete Verhältnisse. Eine Demokratie, die Putin hätte »zurückbauen« können, war ebenfalls so gut wie nicht vorhanden. Im Gegenteil: Erst Putins resolute Restauration staatlicher Strukturen hat eine leidlich demokratische Entwicklung wieder möglich gemacht – so defizitär diese auch noch sein mag. Das darf kein Freibrief für die unleugbaren autoritären Verwerfungen sein. Diese müssen immer wieder angeprangert werden. Man muss sich aber die Anarchie jener russischen Wildwest-Jahre vergegenwärtigen, will man angemessen über Putin und seine rigorose Vorgehensweise urteilen.
Dem sich auflösenden und durch ein Heer von Raubrittern ausgeplünderten Riesenreich wieder eine grobe Ordnung, staatlichen Institutionen wieder Bedeutung verliehen zu haben – das ist Putins großes Verdienst. Dass er aber nicht bereit ist, innerhalb dieser noch fragilen und korrupten Ordnung wieder eine nennenswerte Opposition gedeihen zu lassen, ist verwerflich. Egal, ob dies Machthunger oder paranoider Sorge um sein Lebenswerk geschuldet ist. Insofern ist die Ehrung für Putin überraschend und fragwürdig.
Aber dass sich Putin als Stabilitäts-Garant um Europas Einigung verdient machte – ein Kriterium des Preises –, wird niemand ernsthaft leugnen wollen. Dass Russland – bei allen Missständen – nach seiner Präsidentschaft ein lebenswerteres Land ist als unter Jelzin, steht außer Frage. Die Auszeichnung für ihn ist eine erholsame Brechung des oft heuchlerischen öffentlichen Generalurteils über den widersprüchlichen, facettenreichen Ex-Agenten. Gerade auch angesichts der Ehrungen, die Boris Jelzin erfahren durfte.
Zudem führt »Zar Putin«, wie er trotz zahlreicher gewonnener Wahlen gerne genannt wird, momentan keinen »echten« Krieg. Da hat er dem Friedensnobelpreisträger Barack Obama etwas voraus. Der führt drei Kriege gleichzeitig. Zwei davon hat der bemühte US-Präsident zwar geerbt – konsequente Maßnahmen, diese zu beenden, kann er aber nicht durchsetzen. Den dritten hat er selber mit angezettelt. Soll man ihm den Preis nun wieder wegnehmen? Natürlich nicht.
Denn die Regentschaft Obamas demonstriert gnadenlos die Machtlosigkeit des US-Präsidenten. Und das ist auch bezüglich der jüngsten Geschichte Russlands relevant. Mit der Auflösung jeder Ordnung in den Jelzin-Jahren lässt sich der Zustand der Vereinigten Staaten nicht vergleichen. Doch auch der US-Regierung zeigen private Medien, Banken und Konzerne momentan ein ums andere Mal dreist die Grenzen auf.
Als moralische Stärkung im Kampf gegen diese (innenpolitischen) Widerstände wollte das Stockholmer Komitee Obama den Nobelpreis mit auf den Weg geben. Als Motiv für die Putin-Ehrung kann man der Berliner Jury eigentlich nur den Wunsch nach einer weiteren Stabilisierung Russlands unterstellen.
Es ist tragisch, wie Obamas Politik an einem rechten Bollwerk zerschellt. Um diese Barrikaden zu bezwingen, müsste er jedoch den Putin geben. Ob er dann noch preiswürdig erscheinen würde?
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