Kein Bekenntnis zu Schuld in Neustadt an der Aisch
Auch nach 66 Jahren kann sich die Stadt nicht zur angemessenen Erinnerung an vertriebene jüdische Nachbarn durchringen
Im mittelfränkischen Neustadt an der Aisch findet auf der offiziellen Homepage der 13 000 Einwohner zählenden Stadt ein »spannungsfreies Zusammenleben der Konfessionen bis in die zwanziger Jahre« statt. Danach die lakonische Feststellung ohne Details: »rasches Erstarken der Nationalsozialisten«. Zwischen 1933 und 1945 gibt es nichts Erwähnenswertes zu vermelden. Dann geht es unter »Nach 1945« weiter mit: »Starkes Einwanderungswachstum durch Ansiedlung von Heimatvertriebenen ...« Ergiebigeres ist da schon unter: www.alemannia-judaica.de zu finden. »1933 lebten noch 74 jüdische Familien in Neustadt. Durch die Folgen des wirtschaftlichen Boykotts und der schnell zunehmenden Repressalien sind in den folgenden Jahren alle jüdischen Einwohner aus Neustadt verzogen.«
1931 hatten die Braunen schon die absolute Mehrheit im Stadtrat. Adolf Hitler und der Wortführer des antisemitischen Sturmgeschützes »Der Stürmer«, Julius Streicher, Gauleiter von Franken, wurden zu Ehrenbürgern ernannt, jüdische Bürger auf offener Straße gedemütigt. Im Internet ist zu lesen: »Die jüdischen Geschäftsleute wurden gezwungen, an ihren Läden Schilder mit dem Text ›Streicher hat recht – die Juden sind unser Unglück‹ anzubringen.« Beim Novemberpogrom 1938 wurde die Synagoge vollständig zerstört, ein vierjähriges Kind durch Misshandlungen schwer verletzt. Am 8. November mussten auf Anordnung von Bürgermeister Leonhard Bankel, der dank seiner Kollaboration mit dem faschistischen Regime nach 1933 im Amt bleiben konnte, die letzten 22 Juden die Stadt innerhalb von acht Tagen verlassen, faschistische Banden verwüsteten die Wohnungen. Am 16. Dezember 1938 war Neustadt »judenfrei«.
1948, zehn Jahre später, war Bankel, als sei nichts geschehen, wieder Bürgermeister, und drei Jahre später (»In Treue und Aufopferung hat er dem Gemeindewohl nach besten Kräften gedient«) ernannte ihn die Stadt zum Ehrenbürger. Der Platz vor dem Feuerwehrhaus ist nach ihm benannt. Einer seiner Nachfolger im Amt wurde, wie aus einem Bericht der »Nürnberger Nachrichten« hervorgeht, 1960 »der Sozialdemokrat Karl Ströbel, der während des Dritten Reiches zur ›unwandelbaren Treue zum Führer Adolf Hitler‹ aufgerufen und gegen Juden gehetzt hatte«.
Da nimmt es nicht Wunder, dass es bis heute in Neustadt keinen Ort der Erinnerung an die verfolgten und ermordeten jüdischen Bürger gibt. Versuche einer Arbeitsgruppe, nach dem Beispiel anderer Städte wenigstens durch die Stolpersteine des Kölner Künstlers Gunter Demnig eine solche Ehrung vorzunehmen, sind bislang gescheitert. Bürgermeister Klaus Meier (SPD) habe zwar »Sympathie« signalisiert. Doch der Stadtrat hat den Vorschlag abgelehnt. »Weil es schwer ist, das jahrzehntelange Schweigen zu durchbrechen, liegen gelegentlich die Nerven blank«, konstatieren die »Nürnberger Nachrichten«. Viele der in Frage kommenden Häuser seien »arisiert« worden, und CSU-Fraktionschef Peter Holzmann fürchtet »eine Diskriminierung« der Bürger (die seinerzeit kein Problem damit hatten, sich am jüdischen Eigentum zu bereichern).
Nun ist ein Mahnmal für alle NS-Opfer vor dem Rathaus am Marktplatz im Gespräch. Doch dieser »scheinbar elegante Ausweg« findet nicht die Billigung der CSU, mit zehn Abgeordneten stärkste Fraktion im Stadtrat: Sie will die einstigen jüdischen Bürger nicht namentlich erwähnt wissen. So bleibt, 66 Jahre nach der Befreiung, in Neustadt offen, wann endlich das stattfindet, was der Historiker und Stadtbürgermeister von 1990 bis 2000, Wolfgang Mück »ein Stück nachträglicher Wiedergutmachung« an den Juden nannte.
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