Sightseeing-Tour für Prince und andere Extrawürste
Blick hinter die Kulissen des 45. Montreux Jazz Festival
Als wir in den Bereich direkt hinter der Bühne des Auditorium Stravinski kommen, ermahnt uns eine resolute ältere Dame, dass wir erst gar nicht auf die Idee kommen sollten, hier Fotos machen zu wollen. In den Garderoben haben sich die Musiker der Bochumer Symphoniker eingerichtet, auf Sofas schlafen Techniker und andere Crew-Mitglieder – teilweise mit einem schwarzen Augenschutz vor dem hellen Licht geschützt. Die Vorbereitungen auf der Bühne laufen auf Hochtouren – abends soll Sting mit dem Orchester sein seit Monaten ausverkauftes Konzert präsentieren. Wie gewohnt beim Montreux Jazz Festival soll alles reibungslos und perfekt über die Bühne gehen, den Zuschauern soll eine perfekte Show geboten werden.
Die Maschinerie des Festivals beginnt hinter dem "Salon de Presse", dem Arbeitsbereich der mehreren hundert Journalisten, die über das Ereignis für Radio, TV, Internet und Printmedien berichten. Annouk Dietschi soll uns hinter die Kulissen im "Montreux Music & Convention Centre" führen. Die Kollegen von Mediaprofil, die jeden Tag eine Sendung vom Festival für die regionalen TV-Stationen der Schweiz produzieren verkabeln Dietschi, sie wollen einen möglichst authentischen Bericht liefern.
Hinter den Scheinwerfern sieht es im "2m2c" aus wie in allen Büro- und Lagerbereichen – Beton und Rohre wohin man blickt. Hier arbeitet das ganze Jahr über ein kleiner Stab von etwa 20 Leuten, um das Festival vorzubereiten. Während des Festivals ist der "Staffway" dann Arbeitsplatz für mehr als 1272 Menschen. Überall zeigen Schilder, wer mit welchem Pass – die nach Hierarchie in verschiedenen Farben angefertigt werden – wo Zugang hat. An verschiedenen Pfeilern sind Flyer für Yoga-Entspannungsmassagen angeschlagen. Der Job hier ist Knochenarbeit – entsprechend sollte man ab und an etwas für den Körper tun.
In einen eigenen Büro werden die Transporte für das Festival koordiniert. 80 Fahrzeuge pendeln die ganze Zeit mit Künstlern und VIPs zwischen Bahnhöfen, dem Genfer Flughafen, den Hotels und dem "2m2c." Aber auch besondere Wünsche wie die Sightseeing-Tour, die Prince sich wünschte können erfüllt werden. Von hier werden auch die Fahrten nach Caux zum Chalet von Festivalgründer Claude Nobs organisiert. Dessen Refugium besteht inzwischen aus zwei Gebäuden und wurde kürzlich von einem Medienkollegen als Anwesen im Stil des "great Gatsby" beschrieben. Dort zeigt Nobs gern seine Schätze: Schallplatten, Modelleisenbahnen und Musikboxen sammelte er in den Jahrzehnten. Gern bewirtet der gelernte Koch hier auch seine Gäste.
Sind die Künstler in Montreux eingetroffen, haben die Techniker schon versucht, die von den Konzertagenturen oder Managern übermitteln Wünsche zu erfüllen. Diese finden sich in den so genannten "Tour Ridern", die mitunter mehr als 20 Seiten mit Anforderungen umfassen. In Montreux kümmert sich die Firma BBS um die Anforderungen an das musikalische Equipment. Es ist auch günstiger, wenn die Musiker aus USA etwa einfach schreiben, welche Bestandteile das Schlagzeug haben sollte und welches Piano sie gern hätten. Ein Transport für einen Auftritt von manchmal nur einer Stunde wäre in jedem Fall deutlich aufwändiger. Für Keith Jarrett musste einmal ein spezielles Instrument beschafft werden, erklärt Annouk Dietschi. Die meisten Künstler greifen auf diesen Service zurück, zumal das Festival im Ruf steht, hier auf höchste Qualität und Perfektion zu setzen. Große Produktionen wie die von Paul Simon kommen jedoch mit Sattelschleppern und bringen alles selbst auf die Bühne. In den "Ridern" stehen auch die kulinarischen Wünsche der Stars – für die Logen der Künstler und ihrer Crews gibt es einen Koch, der alles entsprechend passend vorbereitet und servieren lässt. Die Künstler sollen sich in Montreux wie bei einem Familienbesuch fühlen – diese Maxime des Gründers Claude Nobs wird hier an jeder Stelle versucht umzusetzen.
Drei Teams kümmern sich um den guten Ton der Veranstaltungen: Einmal wollen die Künstler auf der Bühne hören, was sie spielen – dafür gibt es einen sogenannten Monitormix. Ein weiteres Team kümmert sich um den Klang, den das Publikum vor der Bühne im Auditorium Stravinski oder in der Miles Davis Hall zu hören bekommt. Das ist nicht einfach, denn die Proben finden ja immer ohne Publikum statt und so gilt es, aus Erfahrungen jedes Instrument richtig auszusteuern und den Mix aller Klangquellen vorzunehmen. In Montreux werden seit den ersten Festivals alle Auftritte aufgezeichnet. Seit den 1990er Jahren geschieht dies im HD-Format und seit letztem Jahr sogar im 3-D-Verfahren. Damit auch bei diesen Aufzeichnungen alles gut und authentisch zu hören ist, kümmert sich ein eigenes 40-köpfiges Produktionsteam. Im Mischraum kann auf bis zu 96 Kanäle zurückgegriffen werden und ein Tonmix für Filmaufnahmen stellt ganz andere Anforderungen als für die Konzertbesucher. Beispielsweise werde für die Aufnahmen mehr Bass als im Konzertsaal benötigt. Die Aufnahmen der Festival-Auftritte stellen mittlerweile einen unschätzbaren Wert dar, denn mehr als 5000 Künstler konnten inzwischen auf Zelluloid gebannt werden.
Zurück zu Essen und Trinken – 24 Prozent der Umsätze des Festivals stammen aus dem Verkauf an Bars, in den Restaurants und an Ständen. Entsprechend finden sich enorme Vorräte, die täglich aufgefrischt werden. Allein zwischen 120 000 und 140 000 Liter Bier werden alljährlich während der 16-Festivaltage verkauft. Auch die Cola-Zero, die ich im "Salon de Presse" gratis genießen kann, stammt aus den Lagern unter dem Zentrum. Und sogar an Reserve-Kühlschränke ist gedacht – denn Künstler haben manchmal mehr Durst als geplant. 150 Menschen kümmern sich in dieser Schattenwelt des Festivals darum, dass immer alles läuft, jeder am richtigen Ort ankommt und niemand verhungern muss – 37 000 Arbeitsstunden sind für den reibungslosen Ablauf des Festivals zu leisten. Stunden von denen die Besucher im Konzertsaal nichts bemerken.
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