Kleiner Mann mit feiner Ironie

Paul Simon gibt keine Oldie-Show am 14. Juli 2011 beim 45. Montreux Jazz Festival

  • Christoph Nitz, Montreux
  • Lesedauer: 3 Min.
Der kleine Mann mit der junggebliebenen Stimme hat drei Karrieren hinter sich – mindestens und gerade mit "So Beautiful or So What" hat er ein Altersmeisterwerk präsentiert, das besonders in England und den USA massiv Erfolg hatte. Beim Festival in Montreux verweigerte er dem Publikum eine Reise durch seine musikalische Vergangenheit und begeisterte mit einem exzellenten Konzertabend.
Kleiner Mann – großer Abend. Paul Simon gab ein künstlerisch überzeugendes Konzert beim 45. Montreux Jazz Festival. Er verweigerte die angesichts seines Songmaterials durchaus mögliche Oldies-but-Goldies-Sause und zeigte sich spielfreudig und experimentierfreudig. Gut, dass auch die inzwischen obligatorischen meist weiblichen Stimm-Unterstützer fehlten.
Kleiner Mann – großer Abend. Paul Simon gab ein künstlerisch überzeugendes Konzert beim 45. Montreux Jazz Festival. Er verweigerte die angesichts seines Songmaterials durchaus mögliche Oldies-but-Goldies-Sause und zeigte sich spielfreudig und experimentierfreudig. Gut, dass auch die inzwischen obligatorischen meist weiblichen Stimm-Unterstützer fehlten.

Nein, "El Condor Pasa" erklang nicht, obwohl der Titel 1970 neun Wochen die Schweizer Hitliste anführte. Paul Simon erschien mit rekordverdächtiger Verspätung beim Montreux Jazz Festival und überzeugte mit einem künstlerisch ambitionierten Konzertabend. Er hat leicht zerzaustes Haar und wirkt auf der riesigen Bühne noch kleiner, als man es von Filmaufnahmen erwarten könnte. Mit "The Boy in the Bubble" lässt er seine achtköpfige Band gleich zu Beginn mächtig fett einsteigen. Der Titel stammt vom Meisterwerk "Graceland", das 1986 weltweit für Aufsehen sorgte. Damals gab es neben Begeisterung für die Arbeit mit südafrikanischen Musikern auch die Kritik, Simon beute schwarze Künstler aus, um damit Geld zu machen. Die Gruppe "Los Lobos" warfen ihm gleichfalls Ideendiebstahl bei einem gemeinsam eingespielten Song für das Album vor. Egal, bis heute ist diese Platte seine erfolgreichste Solo-Platte geblieben und wer wollte, konnte am 14. Juli 2011 in Montreux ein "Graceland"-Shirt kaufen und überstreifen.

Der bald 70-jährige Künstler hat mit "So Beautiful or So What" ein Altersmeisterwerk vorgelegt und dessen Songs möchte er mindestens so gern präsentieren wie älteres Material. Und damit das Publikum die Stange hält, mischt er altes und neues Material clever. Auf "Dazzling Blue" folgt eine sehr relaxte Fassung des Songs über 50 Wege, seinen Lover zu verlassen. Beim Titelsong des aktuellen Albums lacht er sogar einmal kurz und mit Fortgang des Abends taut er weiter auf. Allerdings beschränkt sich sein Beitrag zur Bühnenshow im gestikulieren mit dem Zeigefinger – das Höchstmaß an Ausgelassenheit erreicht er, wenn er in Hüfthöhe mit den Händen schlackert. Nein, Paul Simon bleibt trotz all der pulsierenden Rhythmen auf seinen Platten steif und ein wenig linkisch. Konzentriert wird musiziert und er hat seine Band mit Fingerspitzen im Griff.

"Vincent braucht eine Gitarre" – ständig muss ein Helfer frisch gestimmte Gitarren den bis zu vier Gitarristen auf die Bühne bringen. Beinahe für jeden Titel wechselt Simon das Saiteninstrument, er gibt nicht den netten Onkel einer Oldies-but-Goldies-Sause, bei der das Publikum schenkelklatschend mitgröhlen kann. Mit "Hearts and Bones" greift er einen vom zeitgenössischen Publikum verkannten Schatz aus der Kiste und wenn er fragte "Why won't you love me for who I am where I am" antwortete das Saxophon im Dialog. "Slip Slidin' Away" – der Abend glitt angenehm dahin und wenn es zu wohlig wurde, dann wurde sofort mit einem vorwärtstreibenden Lied gegengesteuert.

Mit "Sounds of Silence" geht es ein einziges Mal in die Epoche von "Simon & Garfunkel" und er interpretierte den Song so, als hätte er dies nicht schon hunderte Male tun müssen. Feinsinnig mischte er mit "Here comes the Sun" einen Ohrwurm aus fremder Feder ins Programm und kommentierte hinterlistig "I hope, you enjoyed it." Zum Finale griff er zum "Kodachrome", gab "Late in the Evening", war natürlich immer noch crazy nach all den Jahren und am Ende durften ihn alle Al nennen. Danke kleiner Mann für diesen großen Abend!

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