Kleiner Mann mit feiner Ironie
Paul Simon gibt keine Oldie-Show am 14. Juli 2011 beim 45. Montreux Jazz Festival
Nein, "El Condor Pasa" erklang nicht, obwohl der
Titel 1970 neun Wochen die Schweizer Hitliste anführte. Paul Simon erschien mit
rekordverdächtiger Verspätung beim Montreux Jazz Festival und überzeugte mit
einem künstlerisch ambitionierten Konzertabend. Er hat leicht zerzaustes Haar
und wirkt auf der riesigen Bühne noch kleiner, als man es von Filmaufnahmen
erwarten könnte. Mit "The Boy in the Bubble" lässt er seine
achtköpfige Band gleich zu Beginn mächtig fett einsteigen. Der Titel stammt vom
Meisterwerk "Graceland", das 1986 weltweit für Aufsehen sorgte.
Damals gab es neben Begeisterung für die Arbeit mit südafrikanischen Musikern
auch die Kritik, Simon beute schwarze Künstler aus, um damit Geld zu machen.
Die Gruppe "Los Lobos" warfen ihm gleichfalls Ideendiebstahl bei
einem gemeinsam eingespielten Song für das Album vor. Egal, bis heute ist diese
Platte seine erfolgreichste Solo-Platte geblieben und wer wollte, konnte am 14.
Juli 2011 in Montreux ein "Graceland"-Shirt kaufen und überstreifen.
Der bald 70-jährige Künstler hat mit "So Beautiful or So What" ein
Altersmeisterwerk vorgelegt und dessen Songs möchte er mindestens so gern
präsentieren wie älteres Material. Und damit das Publikum die Stange hält,
mischt er altes und neues Material clever. Auf "Dazzling Blue" folgt
eine sehr relaxte Fassung des Songs über 50 Wege, seinen Lover zu verlassen.
Beim Titelsong des aktuellen Albums lacht er sogar einmal kurz und mit Fortgang
des Abends taut er weiter auf. Allerdings beschränkt sich sein Beitrag zur Bühnenshow
im gestikulieren mit dem Zeigefinger – das Höchstmaß an Ausgelassenheit
erreicht er, wenn er in Hüfthöhe mit den Händen schlackert. Nein, Paul Simon
bleibt trotz all der pulsierenden Rhythmen auf seinen Platten steif und ein
wenig linkisch. Konzentriert wird musiziert und er hat seine Band mit
Fingerspitzen im Griff.
"Vincent braucht eine Gitarre" – ständig muss ein Helfer frisch
gestimmte Gitarren den bis zu vier Gitarristen auf die Bühne bringen. Beinahe
für jeden Titel wechselt Simon das Saiteninstrument, er gibt nicht den netten
Onkel einer Oldies-but-Goldies-Sause, bei der das Publikum schenkelklatschend
mitgröhlen kann. Mit "Hearts and Bones" greift er einen vom
zeitgenössischen Publikum verkannten Schatz aus der Kiste und wenn er fragte
"Why won't you love me for who I am where I am" antwortete das Saxophon
im Dialog. "Slip Slidin' Away" – der Abend glitt angenehm dahin und
wenn es zu wohlig wurde, dann wurde sofort mit einem vorwärtstreibenden Lied
gegengesteuert.
Mit "Sounds of Silence" geht es ein einziges Mal in die Epoche von
"Simon & Garfunkel" und er interpretierte den Song so, als hätte
er dies nicht schon hunderte Male tun müssen. Feinsinnig mischte er mit
"Here comes the Sun" einen Ohrwurm aus fremder Feder ins Programm und
kommentierte hinterlistig "I hope, you enjoyed it." Zum Finale griff
er zum "Kodachrome", gab "Late in the Evening", war natürlich immer noch crazy nach all den Jahren und am Ende durften ihn alle Al nennen. Danke kleiner Mann für diesen großen Abend!
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