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Effizienz? Nicht im Interesse der Energie-Konzerne!

Naturschutzbund-Experte Ulf Sieberg über Energieeffizienz, EU-Richtlinien und einen gewissen Herrn Oettinger

  • Lesedauer: 5 Min.
Die EU will – so wurde es 2007 beschlossen – ihre Energieeffizienz bis 2020 um ein Fünftel erhöhen. Das heißt: Aus jeder Kilowattstunde Strom, jedem Kubikmeter Erdgas und jedem Barrel (Heiz-)Öl soll 20 Prozent mehr Nutzen gezogen werden.
Fordert eine Kombination von Energieeinsparung, Energieeffizienz und naturverträglichem Ausbau der erneuerbaren Energien: Ulf Sieberg.
Fordert eine Kombination von Energieeinsparung, Energieeffizienz und naturverträglichem Ausbau der erneuerbaren Energien: Ulf Sieberg.

Dieses Ziel droht die EU deutlich zu verfehlen, aktuelle Prognosen rechnen eher mit 9 Prozent. EU-Energie-Kommissar Günther Oettinger legte unlängst den Entwurf einer neuen EU-Effizienz-Richtlinie vor: Die Mitgliedsstaaten sollen jedes Jahr drei Prozent ihrer öffentlichen Gebäude energetisch sanieren. Und die Energieversorger sollen künftig in jedem Jahr 1,5 Prozent weniger Energie verkaufen als im Vorjahr. In einigen EU-Ländern wie Italien, Frankreich und Dänemark haben solche Vorgaben zu beträchtlichen Einsparungen geführt. Statt nur Energie zu verkaufen, setzen die Energieversorger nun auch auf Dienstleistungen und Produkte, die gleichen Nutzen bei weniger Energie bedeuten, darunter High-Tech-Stromzähler, energiesparende Geräte, besser gedämmte Fenster. Weder steigt dabei die Rechnung für den Kunden noch sinken die Einnahmen der Unternehmen. Und doch: Deutsche Politiker laufen Sturm gegen die Pläne des CDU-Mannes Oettinger. »Starre Vorgaben«, schimpfte Bundeswirtschaftsminister Rösler, lehne er ab. Herbert Reul, Christdemokrat und Vorsitzender des Industrieaussschusses des Europaparlaments, sprach gar von »knallharter Planwirtschaft«.

Im ND-Interview legt Ulf Sieberg, Energieeffizienz-Experte des Naturschutzbund Deutschland (NABU) dar, warum Effizienz kein Selbstläufer ist und warum der Oettinger-Entwurf ihm nicht weit genug geht. Mit dem ehemaligen Projektleiter beim Bundesamt für Naturschutz sprach Marcus Meier.


ND: »Energieeffizienz schafft Arbeitsplätze und Wirtschaftskraft, spart Energiekosten und schützt das Klima«, schwärmt die »Deutsche Unternehmensinitiative Energieeffizienz« http://www.deneff.org/. Wenn das stimmt: Wieso ist Effizienz dann kein Selbstläufer, sondern muss von Staats wegen verordnet werden?
Sieberg: Naja, weil die Energieeffizienz noch im DornRÖSLERschlaf weilt. Der neue Bundeswirtschaftsminister hat die Chancen der Energieeffizienz noch nicht erkannt. Die von Ihnen genannte Unternehmensinitiative ist zwar sehr wichtig, hat im Wirtschaftsministerium aber noch keine ausreichende Lobby –leider.

Was ist gut am Entwurf der Richtlinie, was müsste besser sein?
Gut ist, dass Energieeffizienz mit einer eigenen Richtlinie einen neuen Stellenwert bekommt. Aber deren Inhalte lassen, auch verglichen mit dem ursprünglichen Entwurf, doch arg zu wünschen übrig. Wir haben von Herrn Oettinger ein Skelett bekommen. Jetzt müssen da vom EU-Parlament und der Bundesregierung die Muskeln dran gepackt werden. Wenn man sich aber die Aussagen der Bundesregierung anhört, allen voran Herr Rösler, dann hat man eher das Gefühl, als wolle sie aus dem Skelett noch ein paar Knochen heraus brechen.

Warum?
Weil die Bundesregierung vor allem auf vermeintliche Kosten/Nutzen-Aspekte und schnelle Rentabilität achtet. Die Chancen für langfristig nachhaltiges Wachstum werden dabei ignoriert. Dann heißt es immer: »Wir wollen keine Verpflichtungen!« Und heraus kommt freiwillige Beliebigkeit.

Es gibt doch das EU-weite Ziel, die Energieeffizienz zwischen 2007 und 2020 um ein Fünftel zu erhöhen!
Ja, aber das Ziel, den Energieverbrauch bis 2020 um 20 Prozent gegenüber dem Trend zu senken, ist das einzige der drei europäischen Klimaziele (Ausbau der Erneuerbaren um 20 Prozent, 20 Prozet weniger Kohlendioxid), das bisher rechtlich nicht verbindlich ist – weder in Deutschland noch auf EU-Ebene. Deswegen gibt es auch keine Maßnahmenpakete, die quantifizierbar, die kalkulierbar und damit überprüfbar sind.

Will meinen?
Innerhalb der Mitgliedsstaaten sind die Kalkulationsmethoden der Maßnahmen unterschiedlich und damit nicht vergleichbar. Zudem wissen wir nicht, wie viel wir mit welchen Maßnahmen einsparen können – und was uns das kostet. Und damit ist auch der Nutzen der Maßnahmen unklar: Sind sie im ökonomischen, ökologischen und sozialen Sinne wirklich effizient?

Herrscht nun ein Konflikt zwischen der Merkel-Regierung und EU-Kommissar Oettinger – der ja ironischerweise von Merkel nach Brüssel weggelobt wurde?
Das würde ich so nicht sehen. Herr Oettinger macht sich eher zur Speerspitze der Bundesregierung. Er hat einen Entwurf vorgelegt, der viele Ausweichmöglichkeiten offen lässt. So können die EU-Mitgliedsstaaten sich die Maßnahmen anrechnen lassen, die sie in den letzten Jahren sowieso schon durchgeführt haben. Für Deutschland würde das bedeuten, dass so gut wie keine zusätzlichen Maßnahmen ergriffen werden müssten.

Oettingers Entwurf sieht immerhin vor, dass EU-Europas Energieunternehmen pro Jahr 1,5 Prozent weniger Strom verkaufen dürfen.
Solche Einsparverpflichtungen gibt es bereits in einigen Ländern. Das hat Herrn Oettinger wohl inspiriert – wobei wir da ein wenig nachgeholfen haben. Was wir brauchen ist ein Markt für Effizienz bezogene Dienstleistungen. Durch die Einsparverpflichtungen würde dieser voran getrieben. Das ist die eigentliche Chance für mehr Klimaschutz, Beschäftigung und die Entkoppelung des Wirtschaftswachstums von den Kohlendioxid-Emissionen.

Hört sich doch gut an.
Ja, aber das ist natürlich nicht im Interesse der großen Energieunternehmen, die sich auf ihr Kerngeschäft beschränken wollen. Sie wollen weiterhin bloß Energie verkaufen statt zum Effizienzvorreiter zu werden.

Und Oettinger will die Unternehmen nun an die Kandarre legen?
Nein, sein Entwurf sieht eine Öffnungsklausel für die Einsparverpflichtungen vor.

Selbst wenn es beim schwachen Wirtschaftswachstum der letzten fünf Jahre bleibt – EU-Schnitt: 0,8 Prozent pro Jahr, angestrebt sind 3! – würde die Wirtschaft schneller wachsen als die Energieeffizienz bisher. Würden damit nicht alle Effizienz-Fortschritte konterkariert?
Diese Gefahr besteht auf jeden Fall. Die Entkopplung des Wirtschaftswachstums von den Kohlendioxid-Emissionen geht nur in der Kombination von Energieeinsparung, Energieeffizienz und naturverträglichem Ausbau der erneuerbaren Energien. Wir wollen verbindliche Ziele für Energieeinsparung und Kohlendioxid-Reduktion – und zwar mit konkreten Maßnahmen unterfüttert, damit klar wird, von welcher Maßnahme welche Impulse ausgehen. All das torpediert die Bundesregierung – in Brüssel und Berlin.

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