Noch immer Wagnis: Wagner
Historische Stunde: Heute spielt das Kammerorchester Tel Aviv einen in Israel Boykottierten – und das in Bayreuth
Musik – klingt. Binsenweisheit. Und Musik sagt mehr als tausend Worte – weiß sogar der Schlager. Und das Kammerorchester Tel Aviv weiß das auch. Es hat Wochen über das geschwiegen, was heute in Bayreuth stattfindet: Erstmalig spielt ein israelisches Orchester Wagner – und dies in der Stadt jenes deutschen Komponisten, der in Israel als Antisemit, als Inspirator von Hitlers Rassenwahn gilt. Wagner-Musik erklang auch in Konzentrationslagern. Am Tag nach der »Reichskristallnacht« 1938 hatte die Palästinensische Philharmonie das Vorspiel zu den »Meistersingern« spontan vom Programm abgesetzt. Seither gilt jener Boykott, der also älter ist als der Staat Israel.
Das Schweigen der Musiker des Kammerorchesters hatte also Fug. Jede Äußerung hätte jenes Konzert nur immer stärker gefährdet, das nicht Teil der gestern eröffneten Festspiele ist, sondern des Liszt-Jubiläumsprogramms – und nicht auf dem Grünen Hügel, sondern in der Stadthalle. Bayreuth fungiert als Veranstalter, Schirmherrin ist allerdings eine der Leiterinnen des Wagner-Festivals, des Komponisten Urenkelin Katharina Wagner. Besagte Schirmherrschaft übernahm sie als Privatperson. »Es gibt keine antisemitische Musik«, betonte sie gegenüber der »Jüdischen Allgemeinen« – Vorbesprechungen in Israel sagte sie jedoch ab, um die Stimmung nicht anzuheizen.
Auf der Kippe stand das Vorhaben sehr wohl. Aus der regierenden Likud-Partei in Israel war ein straffreudiger Antrag gekommen, dem Klangkörper öffentliche Gelder zu streichen. Die Initiative kam nicht durch, Kulturministerin Limor Livnat: »Ich bin gegen den Auftritt in der Stadt des Nazi-Komponisten«, ihr Ministerium könne jedoch die Unterstützung des Orchesters nicht stoppen, schon gar nicht, nur weil das musikalische Repertoire nicht genehm sei.
Das Tel Aviver Kammerorchester spielt heute Wagners »Siegfried-Idyll«, Werke der jüdischen Komponisten Gustav Mahler und Felix Mendelssohn Bartholdy sowie erstmals in Deutschland ein Stück des zeitgenössischen israelischen Komponisten Tzvi Avni. (Sei angemerkt, dass Frau Livnat sehr wohl wissen könnte, dass Wagner von 1813 bis 1883 lebte, also mitnichten Komponist der Nazis sein konnte.)
In den vergangenen Jahren war es mehrfach zu Brüchen des Wagner-Tabus in Israel gekommen. Eine Annnäherung mit Skandalen. Jedenfalls bei öffentlichen Aufführungen, denn im Radio wird Wagner des Öfteren gegeben.
Die Israelische Philharmonie wollte bereits 1966, vergeblich, Wagner ins Programm aufnehmen. Ein Flötist des Orchesters schrieb damals, die großartige Musik Wagners nicht zu spielen, das sei ein unverzeihlicher Verlust – kein Verlust sei es dagegen, die vielen deutschen Volkswagen auf Israels Straßen durch andere Automarken zu ersetzen. Die Öffentlichkeit tobte.
Zubin Mehta, weltberühmter Dirigent der Israelischen Philharmoniker, versuchte 1981 das »Tristan«-Vorspiel. Ältere Zuschauer brachen in Tränen aus, nur unter starkem »Buh!« war das Konzert zu Ende zu bringen; ein Holocaust-Überlebender war noch vorn gerannt, hatte den Arm freigemacht und dem Orchester seine KZ-Nummer vorgehalten.
Stets attackiert: Daniel Barenboim, der besonders im Juli 2001 mit der Staatskapelle Berlin in Jerusalem für Proteststürme sorgte. Er dirigierte die Ouvertüre zum »Tristan«. Aber: nachdem er das Publikum befragt hatte. »Es ist demokratisch, wenn ich Wagner als Zugabe für jene spiele, die ihn gerne hören würden.« Es folgte eine dreißigminütige Debatte, in der Zuhörer Barenboim einen »Faschisten« nannten. Dutzende knallten die Türen, die Mehrheit aber blieb sitzen, hörte, applaudierte. Ein führendes Likud-Mitglied nannte den Juden Barenboim daraufhin »schamlos, kulturlos.«
Dank Barenboim hatte der Musiksender des staatlichen Rundfunks immerhin »Tristan« erstmals in voller Länge ausgestrahlt. Ein Vorschlag des Künstlers allerdings stößt weiter auf Widerstand: Wagner auf Nicht-Abonnementskonzerten der Israelischen Philharmonie zu spielen, so dass jeder, der ihn hören will, eine Karte für ein bestimmtes Konzert kaufen könne.
So die Vorzeichen für das heutige Konzert in Bayreuth, das übrigens eine Idee der israelischen Musiker ist. Der Wiener Dirigent Roberto Paternostro, seit 2009 künstlerischer Leiter: »Ich weiß, was ich tue.« Er studierte in Wien bei Hans Swarowsky, in Hamburg bei György Ligeti und Christoph von Dohnanyi, war Assistent Karajans. Für die Kritik aus dem eigenen Lande – die »Jerusalem Post« nannte ihn eine »nationale Schande« – hat er Verständnis: »In solchen Momenten schweige ich. Was Menschen, die unsere Reise ablehnen, einst miterleben mussten – da gibt es keine Diskussionen.« Auch er hat den größten Teil seiner Familie während des Holocaust verloren. Wagner habe zwar inakzeptable Ansichten vertreten, sei aber auch missbraucht worden. »Das Orchester steht geschlossen hinter unserem historischen Schritt. Besonders alle jungen Musiker sind neugierig, Wagner zu spielen. Und willens, Eis zu brechen.«
Bayreuths Oberbürgermeister Michael Hohl nennt in einer ausgezeichnet Wagner analysierenden Broschüre das Konzert wegweisend. »Die Rolle, die Bayreuth und Wagner in der Ideologie der NS-Diktatur spielten, ist unvergessen.« Eine Kultur des Verdrängens werde es in Bayreuth nicht geben. Dass das israelische Orchester hier Wagner spiele, mute an »wie ein später, symbolträchtiger Sieg der Toleranz über die Barbarei«.
Der israelische Anwalt Jonathan Livny hat übrigens Ende 2010 die erste Wagner-Gesellschaft in Israel gegründet – motiviert durch die Kontroversen ums Gastspiel des Kammerorchesters. »Ich will endlich wieder Wagner-Opern in Tel Aviv hören und nicht dafür nicht die ganze Welt bereisen müssen.« So Livny, der ebenfalls Angehörige im Holocaust verlor.
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