Erfolgreich ohne Krebsmaus
Ärzteverein gegen Tierversuche zeichnet Forscherin der Kieler Frauenklinik aus
Alle zwölf Sekunden stirbt in Deutschland ein Tier in einem Tierversuchslabor. Der Verein Ärzte gegen Tierversuche (ÄgT) mit Sitz in Braunschweig hat es schwer, seine Philosophie ins Land zu tragen, dass Tierversuche in der Medizin aber auch in der Kosmetikindustrie nichts zu suchen haben. Dass es auch anders geht, beweist unter anderem Maret Bauer, Oberärztin an der Frauenklinik des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein in Kiel, die bei der Erforschung des Brustkrebses mit ihrem dreidimensionalen Zellkulturmodell zu Erfolgen gekommen ist.
Bauer wurde nun von der 800 Mitglieder zählenden Braunschweiger Organisation mit einem Wissenschaftspreis, der mit 10 000 Euro dotiert ist, ausgezeichnet. Nach Ansicht des Ärztevereins sind die Erfolge etwa bei der Suche nach geeigneten Aids- oder Rheumamedikamenten gemessen am Aufwand, der in Tierversuche gesteckt wird, gering. Was etwa beim Schmerzmittel Vioxx über Tierversuche als für den Menschen relevant und sicher konstatiert wurde, endete 2004 damit, dass das Präparat im Gefolge eines der größten Arzneimittelskandale vom Markt genommen werden musste – nachdem weltweit rund 320 000 Patienten einen Herzinfarkt oder Schlaganfall erlitten hatten, wovon wiederum 140 000 starben.
Langsames Umdenken
Dennoch konzentrieren sich Pharmaindustrie aber auch die Deutsche Forschungsgesellschaft (DFG) nach ÄgT-Ansicht noch immer darauf, Studien und Testreihen mit Mäusen, Ratten, Affen, Hunden, Hamstern, Meerschweinen, Schweinen oder Kaninchen als gängige Praxis und alternativlos darzustellen. So werden dann auch etliche Fördermillionen locker gemacht. Der Umdenkprozess gehe, kritisiert der Ärzteverein, viel zu langsam. Dabei schreibt eine neue EU-Tierversuchsrichtlinie ab 2013 allen Mitgliedsländern zwingend ein Umdenken vor – wenn es auch weiterhin viele Schlupflöcher geben wird.
Marcel Leist, Leiter des bisher einzigen Lehrstuhls in Deutschland zur Anwendung von Ersatzmethoden gegenüber Tierversuchen an der Uni in Konstanz, begrüßt die sich abzeichnende Entwicklung weg von den Qualen in Tierlaboren. Zugleich kritisiert er die DFG scharf: »Dort hält man alternative Methoden immer noch für minderwertige Forschung.« Auch Fachverbände wie die Deutsche Krebshilfe schließen sich bis dato in der Regel noch solchen Meinungen an.
Die 36-jährige Maret Bauer zeigt, dass ihre Forschung für Menschen ganz ohne Einsatz von Tieren sehr zielgenau funktioniert. Sie hat Zugriff auf Operationspräparate von Brustkrebspatientinnen nach deren vorhergehender Einverständniserklärung und kann dann die Interaktionen zwischen Brustkrebszellen und Bindegewebszellen genauer charakterisieren. Über diese Interaktionen Barrieren gegen Tumorwachstum zu errichten, wäre ein innovativer Ansatz in der Therapie der Brustkrebserkrankung. Auf dem Deutschen Gynäkologenkongress 2010 in München, aber auch international erhielten Bauers Arbeiten eine verstärkte Aufmerksamkeit.
Gleichsetzung abgelehnt
Bisher basiert die Krebsforschung auf dem Einsatz der »Krebsmaus« mit im Labor künstlich erzeugtem Krebs und dessen Heilung. Dieser Forschungsansatz habe jedoch mit der vielschichtigen menschlichen Erkrankung nichts zu tun, unterstreichen die Ärzte gegen Tierversuche.
Eine zweckgebundene Erbschaft ermöglicht es dem engagierten Ärzteverein, Wissenschaftler für ihren tierversuchsfreien Einsatz auszuzeichnen. Bereits im Jahr 2006 geschah dies durch die Verleihung des Preises an den Freiburger Informatiker, Toxikologen und Chemiker Christoph Helma. Die Kielerin Bauer ist nun zweite Preisträgerin, und am 10. August sollen auch die Krebsforscher Irinia Nazarenko und Stefan Giselbrecht vom Karlsruher Institut für Technologie den Preis überreicht bekommen.
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