Wutbürger vor der CSU-Zentrale
Lautstarker Protest in München gegen den Ausbau der dritten Startbahn im Erdinger Moos
Der bayerischen Variante des Wutbürgers á la Stuttgart 21 konnte man am Freitag vor der Parteizentrale der CSU begegnen. In München soll der Flughafen erweitert werden.
Mehr als 300 Demonstranten protestierten am Freitag an der Nymphenburger Straße 64 in München lautstark und wütend gegen den Bau einer dritten Startbahn am Franz-Josef-Strauß-Flughafen. Einen Dialog mit den betroffenen Bürgern habe es bisher nicht gegeben, kritisierte Helga Stieglmeier, Sprecherin des Aktionsbündnisses »AufgeMUCkt«, und kündigte einen »heißen Herbst« an. Versuche von CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt, das Wort zu ergreifen, gingen in lauten »Lügenpack«-Rufen unter. Die Regierung von Oberbayern hatte vor kurzem den Bau der dritten Start- und Landebahn genehmigt.
»Jetzt reicht’s. Die CSU gehört weg!«, mit dieser drastischen Parole auf einem Plakat protestierten betroffene Bürger aus dem Erdinger Moos gegen den Ausbau des dortigen Großflughafens. Mit dabei ein 70jähriger Brauer aus dem Freisinger Vorort Bulling: »Früher hab’ ich auch CSU gewählt, jetzt nimmer«, sagt er. Sein Haus wird seitlich überflogen und er weiß nicht, was schlimmer ist, »der Dreck oder der Lärm«.
Vor der CSU-Zentrale herrscht eine aufgeheizte Stimmung, die sich hier mit Tröten und Trillerpfeifen entlädt. Die beiden bayerischen Regierungsparteien CSU und FDP kommen dabei nicht gut weg: »Heimatvernichter« steht auf einem Plakat, »Saubande« auf einem anderen. Vor dem Haupteingang zur CSU-Zentrale haben einige Bewohner aus Attaching einen Grabstein aufgestellt. Das Dorf Attaching, Ortsteil von Freising, wäre vom Bau der Startbahn am schlimmsten betroffen. Die Regierung von Oberbayern, die vor kurzem den Ausbau des Flughafens in einem Planfeststellungsbeschluss genehmigte, hat den Ort als Entschädigungsgebiet ausgewiesen, wonach die Grundstückseigentümer Anrecht auf Schallschutzmaßnahmen haben oder eine Entschädigung von der Flughafengesellschaft München (FMG) für die Grundstücke zum Verkehrswert von 2007 verlangen können. Viele aber wollen nicht weg, sondern sagen: »Das ist unsere Heimat.«
Der Ausbau des Flughafens sei notwendig, so die Regierung von Oberbayern, um die »Drehkreuzfunktion« des zweitgrößten deutschen Flughafens langfristig zu sichern. Die Flughafengesellschaft hält eine weitere Startbahn aufgrund steigender Passagierzahlen für dringend geboten, bis 2025 soll das Passagieraufkommen einer Prognose zufolge auf 58 Millionen steigen. 2010 waren es noch 35 Millionen Fluggäste. Mit der neuen Startbahn im Erdinger Moos könnten die derzeit 90 Starts und Landungen pro Stunde auf 120 erhöht werden.
Demgegenüber halten die Startbahngegner einen derartig massiven Ausbau für »überhaupt nicht nötig und auch nicht sinnvoll« und verweisen auf sinkende Passagierzahlen seit der Weltwirtschaftskrise 2008. Für Christian Magerl vom Bund Naturschutz geht es zudem um die Planung einer »gigantischen Naturzerstörung«. Besonders erbost sind viele Protestierende vor dem CSU-Hauptquartier wegen der Position von Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU), der sich zwar zum »Dialog« mit den Startbahn-Gegnern bereiterklärte, aber an der Entscheidung zum Startbahnbau nicht mehr rütteln will. So wurden gegen den von der Flughafengesellschaft im Sommer 2007 beantragten Ausbau 83 999 Einwendungen erhoben, die aber, so Magerl, nicht berücksichtigt wurden.
Der ehemalige Landrat von Freising, Manfred Pointner (Freie Wähler), sprach auf der Kundgebung diesbezüglich von einer »maßlosen Enttäuschung«. Wenn Seehofer den Ausbau nicht mehr zur Disposition stelle, seien Gespräche sinnlos. Den Unmut der Betroffenen bekam schließlich CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt zu spüren, als er sich aus der CSU-Parteizentrale wagte. Sein Redeversuch ging im Trillerpfeifenkonzert unter. »Herr Dobrindt wird auf dieser Veranstaltung nicht sprechen«, so ein Veranstalter, »wir können seine Sicherheit nicht garantieren«.
Ministerpräsident Seehofer hat die dritte Startbahn nicht zuletzt zur Chefsache gemacht, um Zustände wie bei Stuttgart 21 zu vermeiden. In der Tat ähneln die Protestierenden an der Nymphenburger Straße eher dem traditionellen bürgerlichen CSU-Wähler. »Der Wutbürger ist auch hier in Bayern angekommen«, verkündet Bündnissprecherin Helga Stieglmeier unter heftigem Applaus. Und sie warnt: »Wir tragen die Wut weiter bis zu den Wahlen«, und dann, an den in der Menge eingekeilten CSU-Generalsekretät adressiert, werde die Partei »ihre Quittung« bekommen.
Derweil hält ein Mann am Rande der Kundgebung ein Plakat in die Höhe, »Marx, bitte steh uns bei«, ist darauf zu lesen. Gemeint ist aber nicht der Philosoph aus Trier, sondern, wie es sich in Bayern gehört, Reinhard Marx, der Erzbischof von München und Freising.
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