Armee räumt Tahrir-Platz

Die Bewegung steht unter Schock und plant die nächsten Proteste

  • Juliane Schumacher, Kairo
  • Lesedauer: 3 Min.
Im Fastenmonat Ramadan sollte sich die Lage in Ägypten beruhigen. Die gewaltsame Räumung des Tahrir-Platzes in Kairo spricht dagegen.

Die Ankündigung war unmissverständlich: 28 der Gruppen, die seit Anfang Juli den Tahrir-Platz besetzt hielten, erklärten am Tag vor Beginn des Ramadans am 1. August, dass sie den Platz für den Fastenmonat verlassen würden. Einzig die Familien der während der Revolution Getöteten und einige hundert Unterstützer wollten bleiben und an den Abenden zum gemeinsamen Iftar, Fastenbrechen, auf den Tahrir einladen. Dazu kam es nicht, und es blieb auch keine Zeit, die Zelte abzubauen: Am Montag, drei Uhr nachmittags, rauschten auf einmal Panzer auf den Tahrir-Platz, Tausende Soldaten folgten, von der anderen Seite traf Einsatzpolizei ein. Sie rissen die Zelte nieder, verhafteten jeden, der wie ein Protestierender aussah oder auch nur ein Foto machte. Vor allem aber prügelten sie wahllos auf alle ein, die sie zu greifen bekamen: nicht nur junge Männer, sondern auch die Angehörigen der Revolutionsopfer, alte Frauen und Männer, Schwangere, Straßenkinder. Das Militär spricht von 111 Verhafteten, darunter sind Kinder von zwölf Jahren und etliche Journalisten.

Die Besitzer der Läden rund um den Tahrir jubelten, als das Militär den Platz für den Verkehr öffnete. Noch die ganze Nacht durch standen die Soldaten zu Hunderten um den Platz und patrouillierten durch die Innenstadt. Vertreter der radikal-islamischen Muslimbrüder und der Al-Gamaa Al-Islamiyya äußerten im Fernsehen ihre Unterstützung für das Vorgehen des Militärs.

Mit der gewaltsamen Räumung des Tahrir-Platzes endete die »zweite Revolution«, die Protestwelle, die am 28. Juni spontan mit Straßenschlachten begann und an ihrem Höhepunkt Mitte Juli Millionen auf die Straßen brachte. In allen größeren und kleineren Städten waren zu diesem Zeitpunkt die Plätze besetzt. Die Proteste richteten sich zum ersten Mal direkt gegen den seit Februar herrschenden Militärrat und forderten eine zivile Übergangsregierung. Militär und Regierung reagierten zögerlich. Als Repressionsversuche die Proteste nur noch anheizten, tauschte Premierminister Essam Sharaf schließlich 14 Minister aus und machte Zugeständnisse, etwa die Live-Übertragung von Prozessen gegen ehemalige Regierungsmitglieder oder die Entlassung hunderter Polizisten.

Ein halbes Jahr nach der Revolution, das zeigt die »zweite Revolution«, ist Ägypten noch nicht zur Ruhe gekommen: Alte und neue Akteure streiten in der Offenheit der nachrevolutionären Situation um ihren Platz in der Politik. Und Politik wird weiterhin auf der Straße gemacht. Die Jugend- und Protestbewegungen, die aus der Revolution hervorgegangen sind, haben noch immer eine gewaltige Mobilisierungskraft und sind weiterhin das wichtigste Korrektiv- und Kontrollorgan des neuen Regimes. Dessen zentrale Säule ist das Militär, das in Ägypten seit über 50 Jahren die Politik bestimmt und zwischen einem Viertel und knapp 50 Prozent der Wirtschaft kontrolliert.

Die Protestbewegung stellte sich offen gegen das Militär, nachdem dieses am 9. März rund 200 Protestierende festgenommen und brutal gefoltert hatte. Dafür machte eine andere Gruppe die gegenteilige Entwicklung: Die radikal-islamischen Gruppen hatten während der Revolution Seite an Seite mit den säkularen Protestierenden gekämpft. Doch nach Mubaraks Rücktritt entwickelten sich vor allem die Muslimbrüder rasch zu einer finanzstarken Kraft, die gute Chancen bei den Wahlen im November hat – und zu einem zunehmend guten Verbündeten des Militärrates SCAF. Offen bleibt, welche Gruppe am Ende tatsächlich von der Revolution profitiert.

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