Kultur? Das Wort ist anzuzweifeln
»Politisierte Orchester« – Philharmoniker während der Nazizeit
Die braune Tradition auch im Kulturbereich, wie oft schon hat man die abzuwaschen versucht oder erst gar nicht hervorgeholt. Bis heute suchen namentlich traditionsgesättigte Apparate der Kultur immer noch, unfreundliche, anklagende Materialien unter Verschluss zu halten oder nur scheibchenweise herauszurücken. Die Blockierung der Aufarbeitung des Karajan-Erbes der Nazizeit ist ein Beispiel hierfür.
Fritz Trümpis Buch »Politisierte Orchester« untersucht die Politisierung der Wiener Philharmoniker und des Berliner Philharmonischen Orchesters im Nationalsozialismus und öffnet den Blick. Beide Orchester – das sei sogleich gesagt – haben kräftig mitgemacht. Derlei Befund ist in der bisherigen Forschung nicht verborgen geblieben. Doch fehlt häufig genug der schlüssige wissenschaftliche Nachweis. Den bringt Trümpi. Ja, legt die Schrift nahe, es war eigentlich alles schon da, bevor die »tausendjährige« Barbarei begann und sich schleunigst auch die Kultur unterwarf. »Kultur«? Das Wort ist hier anzuzweifeln. Nach Trümpi bedurfte es für die Wiener und (hier verkürzt genannt) Berliner Philharmoniker nur noch letzter Anstöße, der »neuen Zeit« zu präludieren und ihr umstandslos zu folgen. Und sich später willig vor den Karren deutsch-faschistischer Auslandsarbeit spannen zu lassen.
Schon im Ersten Weltkrieg schritten die Berliner Philharmoniker voran, die deutsche Auslandswerbung zu unterstützen. Zwischen 1914 und '18 wirkten sie rund 40 Mal an Konzerten mit kriegspolitischem Hintergrund mit.
In ähnlichen Rhythmen diente der Krieg als Schrittmacher für die Profilierung der Wiener. Beide Orchester musizierten auf Gedenkfeiern für Gefallene oder wenn Kriegsschiffe eingeweiht wurden. 1943 hätten die Berliner Philharmoniker, so der Nazi-Tenor, »stärkste Wirkungen« auf ihrer Balkan-Tournee ausgeübt – die Staaten dort waren bereits unterworfen. Ihre »zwingende Kraft« sei vor allem Furtwängler und Karajan zu verdanken.
Die Wiener – nicht schlechter – demonstrierten indes bei Werkpausen in Rüstungsbetrieben die »ewige Schönheit der deutschen Musik«. Gleiches taten übrigens Furtwängler und seine Musiker etwa im AEG-Konzern. Auftraggeber: die NS-Organisation »Kraft durch Freude«. Welch Hohn!
Dem Herrschaftskanon gliederten sich die Berliner Philharmonikern mühelos ein, während sich die Wiener durch eine Reihe Umstände nach 1938 noch eine gewisse Autonomie sichern konnten. Die Furtwängler-Ägide indes wurde »Reichsorchester« und ließ sich darüber total vereinnahmen.
Vorteil gegenüber anderen Autoren ist, dass Trümpi zurückgeht bis tief ins 19. Jahrhundert, von dort neues Material ausbreitet und sich nicht täuschen lässt vom bevorzugten Topos, 1933 bzw. 1938 wäre auch für die besagten Klangkörper etwas völlig Neues, Unerwartetes in die Welt gekommen. Auf die Berliner Philharmoniker hin schreibt er: »In Wirklichkeit wurde ihre ›Gleichschaltung‹ bereits zwischen 1929 und 1932 angelegt.«
Das Buch ist historisch-methodisch auf dem Denkstandard einer Forschung, die statt Ideologien und ewige Rechtfertigungen Erkenntnisse vermitteln will und dessen umfassende Erforschung Rückschlüsse erlaubt auf die Bewegung des gesamten deutschsprachigen Konzertbetriebs, der unter die faschistische Fuchtel kam.
Trümpi, er geht chronologisch vor, bringt zudem die ganze Verwickeltheit des Gegenstandes in eine lesbare Form, wenngleich das Buch vor lauter Zitaten und Belegen fast birst. Weiterer Vorzug ist, dass der Autor nichts verklärt oder relativiert, wohl aber die wunden Punkte unmissverständlich anführt und historisches Versagen deutlich macht. Selbstredend steht Trümpi in keinem Zusammenhang mit solchen Geschichtsklitterern und Verharmlosern, wie sie etwa im Umfeld der neokonservativen Zeitschrift »Junge Freiheit« auftreten.
Das Buch akzentuiert die Differenzen und historischen Ungleichzeitigkeiten: Die Berliner Philharmoniker sind die modernere, anpassungsfähigere Institution. Ihr Personal folgt widerstandslos dem, was die NS-Politik verlangt und erwartet. Ihre Auslands-Tourneen sind Fanale, die menschenfeindliche NS-Ideologie in die Welt zu tragen. Die Institution Wiener Philharmoniker beschreibt der Autor als konservativ, wozu der dauerhafte Widerstand gegen kompositorische Neuerungen und Reformen der Programmgestaltung gehört, als im politischen Kräftespiel verstockter, was sie nicht besser macht. Interessant der Widerspruch, dass der »Austrofaschismus«, also die erste faschistische Bewegung in Europa überhaupt, die Wiener Philharmoniker zwar politisch vehement einzuspannen suchte, aber Österreich als eigenständigen Nationalstaat gegen deutsche Zugriffe verteidigte. Wie das Problem ausging, ist bekannt.
Was beide Klangkörper vereint: Sie überschreiten noch die letzten Schamgrenzen, und zwar mühelos. Hochbürgerliche Häuser, konservativ bis ins Mark, sind gegenüber Vereinnahmungen in friedfertigen Zeiten viel geschmeidiger, auch widerstandsfähiger und nach außen auf Zwischentöne bedacht. Was zählt, sind Tradition, Dauer, der Name, die Fassade. Die Geschichte soll makellos erscheinen, frei von Brüchen und fleckenlos. Trümpi leuchtet hinter die Fassaden der Orchester. Genau das, was ihre Geschichten verdeckt, sucht er auf. Und er findet und sagt indirekt: Zum Versagen der deutschen Eliten gehört auch das Versagen dieser großen Klangkörper.
Der Autor hat – vernetzt mit vielerlei Archiven, Instanzen, Personen – in Haufen noch unerschlossener Archivmaterialien gegraben und Schätze von Beweismaterial gehoben. Einziger Makel der Schrift: dass Trümpi Arnold Schönberg als Impressionisten tituliert, was grundsätzlich sinnwidrig ist, und den Namen Paul Hindemith nicht einmal nennt, obwohl sich Furtwängler als Chef der Berliner Philharmoniker 1934 um die Aufführung von dessen progressiver Symphonie »Mathis der Maler« bemüht hat. Das mag verzeihlich sein. Ansonsten ist Fritz Trümpis Buch mehr als empfehlenswert.
Fritz Trümpi: Politisierte Orchester. Die Wiener Philharmoniker und Das Berliner Philharmonische Orchester im Nationalsozialismus. Böhlau Verlag, 360 S., geb., 39 €.
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