Der Gejagte und die Flurflüsterer

Christian von Boetticher (CDU) zieht sich zurück. Über sein Comeback wird schon spekuliert

  • Dieter Hanisch, Kiel
  • Lesedauer: 3 Min.
Ärger in Schleswig-Holsteins CDU: Nach dem Rücktritt des Spitzenkandidaten von allen Ämtern beginnt das Gerangel um seine Nachfolge.

In Schleswig-Holsteins CDU liegen die Nerven blank. Die jüngste Affäre um Christian von Boetticher und seine Beziehung mit einem minderjährigen Mädchen aus der Jungen Union, knapp neun Monate vor den Landtagswahlen, schlägt vielen aufs Gemüt. An der Parteibasis ist man mächtig verärgert. Die Union ist darum bemüht, den Schaden gering zu halten. Die Basis fordert ein Mitspracherecht in der Personaldebatte, die nun begonnen hat. Derweil sieht es eher nicht so aus, als seien die CDU-Granden dazu bereit, ein solches Mitspracherecht zu gewähren.

Einen Tag nach seinem Rückzug als Spitzenkandidat und Landesvorsitzender verkündete von Boetticher auch seinen Rücktritt als Fraktionsvorsitzender. Er wartete nicht einmal die gestrige Zusammenkunft des Gremiums ab. Er sei dem Medienrummel nicht mehr gewachsen und fühle sich wie ein Gejagter, begründete er sein Fernbleiben von der Fraktionssitzung.

Am Nachmittag hatte man sich noch nicht auf einen neuen Fraktionschef geeinigt. Obwohl er nicht Fraktionsmitglied ist, weilte auch Wirtschaftsminister Jost de Jager in der Gesprächsrunde. Beobachter werteten dies als Zeichen dafür, dass der 46-Jährige künftig die Spitzenkandidatur und den Landesvorsitz übernehmen soll. Darüber wollte sich der erweiterte Landesvorstand noch am Dienstagabend (nach Redaktionsschluss) verständigen.

Im mehr als 3000 Mitglieder zählenden Kreisverband Rendsburg-Eckernförde wurden unterdessen Stimmen laut, die sich für eine Urwahl bei der Besetzung des Parteivorsitzes und des Amts des Spitzenkandidaten aussprechen. Der Kreisvorsitzende Johann Wadephul, als Fraktionschef der Vorgänger von Boettichers und seit 2009 im Bundestag, plädiert zwar auch für eine stärkere Beteiligung der Basis, angesichts der kurzen Zeit im Wahlkampf werde das aber wohl in diesem Fall kaum möglich sein. Unter Landtagsabgeordneten kursierte bereits am Montagabend der 24. September als Termin für einen Sonderparteitag. Von der Landesgeschäftsstelle wurde dies dagegen gestern auf ND-Nachfrage flugs dementiert. Wadephul bezeichnete von Boettichers Rücktritte nach der in der Öffentlichkeit bekannt gewordenen Liebelei als unausweichlich.

Das Tuscheln auf den Fluren des Landesparlaments setzt sich derweil fort. Da ist vom »Dolchstoß« die Rede, es wird kolportiert, dass es ausgerechnet Parteifreunde gewesen seien, die von Boettichers Privatleben an die Öffentlichkeit zerrten.

Ihre Mehrheit, die genau eine Stimme beträgt, behält die CDU/FDP-Koalition, weil von Boetticher sein Mandat behalten will. Hätte er verzichtet, wäre es auf ein Patt im Parlament hinausgelaufen und damit womöglich auf sofortige Neuwahlen, weil es rechtlich umstritten ist, ob die CDU aufgrund ihrer Ausgleichs- und Überhangmandate in solch einem Fall Nachrücker stellen darf. Die LINKE und die Grünen kündigten jedenfalls bereits vorsorglich eine entsprechende Verfassungsklage an.

Der 64-jährige Ministerpräsident Peter Harry Carstensen hat sich in dem von ihm protegierten Zögling von Boetticher getäuscht, dürfte aber froh darüber sein, dass er ihm nicht schon sein Amt als Regierungschef überlassen hat. Hätte von Boetticher den Wahlkampf mit dem Bonus des Amtsinhabers führen können, wäre der jetzige Ärger wohl noch größer gewesen. Der Landesschatzmeister im CDU-Vorstand, Hans-Jörn Arp, wollte nicht ausschließen, dass von Boetticher zu einem späteren Zeitpunkt einmal ein politisches Comeback gelingen werde.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -