Protest aus »wahlkämpfenden Verbänden«
Brief der Parteiführung an Fidel Castro erregt Widerspruch des Berliner Linksparteichefs Klaus Lederer
Wahlplakate mit Porträts bringen nichts. Das Geld könnten sich die Parteien sparen. Mit dieser bemerkenswerten Aussage zitiert die Nachrichtenagentur dpa den Medienforscher Frank Brettschneider, der sich auf Untersuchungen an der Universität Stuttgart-Hohenheim beruft. »Ob wir uns ein Plakat merken oder nicht, hat mit der emotionalen Wahrnehmung zu tun.« Unbewusst erfasse den Betrachter eine positive oder negative Stimmung.
Dies sollte nicht nur, aber besonders der Linkspartei zu denken geben. Man kann nicht sagen, dass diese für positive Stimmung sorgt. Besonders den Wahlkämpfern in Mecklenburg-Vorpommern, Berlin und Niedersachsen, wo die nächsten Landtags- und Kommunalwahlen stattfinden, ist dies bewusst, wie man an ihrer zunehmenden Nervosität sieht.
Der Berliner Landesvorsitzende Klaus Lederer kleidet dies, wenn der »Tagesspiegel am Sonntag« Recht hat, in die Worte: »Mir steht es bis hier oben.« Was ihm allerdings die Galle bis zur Unterlippe treibt, ist offenbar nicht der Streit an sich, denn den hätte er mit seiner Bemerkung nunmehr selbst neu angefacht. Vielmehr klingt hier erneut vor allem Groll über die politischen Ansichten eines Teils seiner Genossen durch. In diesem Fall ist es ein Brief der beiden Parteivorsitzenden Gesine Lötzsch und Klaus Ernst an Fidel Castro. Anlässlich dessen 85. Geburtstag bescheinigen die Parteivorsitzenden dem langjährigen kubanischen Staats- und Parteichef die »für Lateinamerika beispiellosen sozialen Errungenschaften«, die Kuba zum »Orientierungspunkt für viele Völker der Welt« gemacht hätten. Auf die Menschenrechtslage in Kuba gingen die beiden Vorsitzenden nicht ein, merkt der Zeitungsbericht hierzu an.
Klaus Lederer hat solche dezenten Hinweise nach der Darstellung im Tagesspiegel offenbar nicht nötig. »Es drängt sich der Eindruck auf, dass hier einige ihre sektenmäßigen Rechnungen auf dem Rücken der wahlkämpfenden Landesverbände austragen wollen«, gibt die Zeitung ihn wieder. Gesine Lötzsch hingegen bleibt auf Nachfrage locker. Sie habe in der Zeitung schon manches verquere Zitat gelesen, sagt sie dem ND. Sie wirbt für Konzentration auf die den Menschen wichtigen Themen: Arbeitsplätze, Bildung, Demokratie. Die Wahlen würden auf der Straße entschieden, nicht in innerparteilichen Debatten.
Als Anstachelungsversuch kann man indes verschiedene Kommentare bewerten, die aus parteifernen Kreisen zu hören sind. »Angesichts von 50 Jahren Menschenrechtsverletzungen auf Kuba zeigt dieser Brief, wie wenig die LINKE von der Freiheit hält«, äußert etwa der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning (FDP), in der »Bild«-Zeitung. Und Erika Steinbach, in der CDU als Menschenrechtsexpertin unterwegs, spricht von einem »unglaublich peinlichen Brief«, der beweise: »Im Bundestag sitzen Antidemokraten.« Grünen-Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck wirft der Linkspartei »Denkmuster aus dem Kalten Krieg« vor.
Knapp der Löning-Steinbach-Beck-Schelte entkommen sein dürfte damit Gregor Gysi, der Castro ebenfalls würdigte. Auch der Fraktionschef der LINkEN im Bundestag sprach von den »großen Verdiensten« Castros. Die Agentur dpa gibt ihn mit den Worten wieder, Castro habe Armut überwunden und ein Bildungssystem und Gesundheitswesen eingeführt, wie es zuvor »für ganz Lateinamerika unvorstellbar« gewesen sei. »Das sind die großen Verdienste, die man unbedingt sehen muss.« Gleichzeitig mahnte Gysi aber politische Reformen in Kuba an. »Wir brauchen endlich Demokratie in Kuba. Davon sind wir noch weit entfernt.«
Dass Castros Geburtstag auf den 13. August fällt, ist kalendarischer Zufall, für die LINKE scheint aber selbst dies von schicksalsschwerer Symbolik. Denn dieses Datum liefert den Stoff zum weiteren Streit, und auch der ist noch nicht ausgestanden. Fraktionsvize Dietmar Bartsch sagte in einem Rundfunkinterview mit Blick auf den kürzlichen Landesparteitag in Mecklenburg-Vorpommern, dass diejenigen die sich dort nicht erhoben, als es um das Gedenken an die Maueropfer geht, sich fragen müssten, »ob sie denn richtig sind in der Partei«. Marianne Linke, Bundestagsabgeordnete und einst Sozialministerin in Schwerin, die zu den »Sitzenbleibern« gehörte, hatte dies damit begründet, dass sie die Grenzsicherung 1961 nur im Zusammenhang mit anderen historischen Ereignissen, mit der Würdigung auch anderer Todesopfer bewerten könne und dass sie sich kein Geschichtsbild aufnötigen lasse, von jenen, »die sich heute – wie vor der Wende – dem jeweils herrschenden Zeitgeist anpassen«. Zur Schelte Bartschs meinte sie gegenüber ND am Sonntag, nach ihrem Demokratieverständnis könne ja jeder, der andere Auffassungen innerhalb der Partei nicht ertrage, sich selbst eine andere suchen, statt den Austritt zu empfehlen.
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