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Hüterinnen der eignen Geschichte
Katharina Born: »Schlechte Gesellschaft« ist wohl ein Schlüsselroman
Katharina Born, die einem Literatenhaushalt entstammt, wird nicht überrascht sein, dass der kundige Leser ihrer »Familiengeschichte« Parallelen zu Personen der Zeit- und Literaturgeschichte zieht. Immerhin thematisiert sie die Vermarktung des literarischen Nachlasses eines früh verstorbenen Autors, dessen Literatur in Form einer Soap seine Fortsetzung findet. Der Verweise gibt es zu viele, als dass der Erstling der 1973 geborenen Autorin, Tochter des Lyrikers und Romanciers Nicolas Born (1937-1979), nicht als Schlüsselroman gelesen werden würde. Wie im »richtigen Leben« brennt auch im Roman das Haus ab und wird die Erbengemeinschaft von drei Frauen repräsentiert. Es empfiehlt sich, auch in Dietmar Griesers lesenswertem Abriss »Musen leben länger« (Ullstein 1992), nachzuschlagen, um »die Gefährtin, die den Dichter überlebt«, als »Hüterin seines Vermächtnisses, Wahrerin seines Andenkens« im Kontext klangvoller Namen zu würdigen.
Im Born-Buch haben wir am Anfang die »schwierige Witwe« Hella Vahlen, Autorin der Fernsehserie »Villa Westerwald», die, was wiederum eine Übereinstimmung darstellt, vor ihrer fernsehdramatischen Zeit Ärztin war. Deren Tochter Judith, früher durchgebrannt mit dem Dramatiker Gert Gellmann, dem Freund der Familie, ist weniger verschlossen, öffnet sich dem Doktoranten Andreas Wieland, und diesem schließlich die Dachkammer, wo der Nachlass Peter Vahlens lagert. Zum Trio zählt noch Alexia Gellmann-Vahlen, die halbwüchsige Enkeltochter, suizidgefährdet, wie es in der Familie liegt. Ihr freilich kommt die geringste Aufmerksamkeit zu, obwohl irritierenderweise ein ganzer Romanteil ihren Namen trägt.
Ausgehend von den Rückblenden wird die Dichterfreundschaft des, sagen wir mal: Helden, zu einem Dramatiker bis in die beinahe abstruse Gegenwart geführt. Doch das Buch hat mehrere Anfänge, mehrere Ebenen, die pseudo-reale und die fiktive der Weekly-Soap. Die Schriftstellertochter holt weit aus. Offenbar standen Fotoalbum und Familienchronik, ein Handbuch zur deutschen Geschichte und eine Reihe von Nachschlagewerken neben dem Notebook. Das bürgt für profunde Recherche. Ist die Gegenwart im Jahre 2007 angesiedelt, steht deren Fundament auf mehreren (Ge-)Schichten: Kaiserreich, Nationalsozialismus, Nachkriegszeit und Jahrhundertwechsel. Doch die Crux ist, es wird nicht recht deutlich: Wer bitte erzählt da? Das Buch ist ein einziges Sammelsurium. Es geht zwar nicht drunter und drüber, aber es geht drüber und drüber. Hat man sich in eine Zeit, eine Atmosphäre, eine Geschichte eingefühlt, bricht sie nach wenigen Seiten (manchmal Zeilen) ab und man wird in eine neue Situation gestoßen.
Als Leser wünscht man sich, der Vorsatz enthielte einen Stammbaum, der all die Verzweigungen und Verästelungen dieser Großfamilie vor Augen führt. Dann könnte man sich leichter durch die zwei Jahrhunderte hangeln. Denn spannend ist die Familiensaga von Anfang an. Auch hat der Roman alle Ingredienzien, die Leser zu fesseln vermögen. Da gibt es Betrug und Selbstbetrug, Kleingeist und Größenwahn, Raffgier und Eifersucht, Lust und Leidenschaft, Macht und vor allem deutsche Ohnmacht.
Vieles bleibt in der Familie – auch der Sex. Die Autorin stellt ihre Sprache auf die Gegebenheiten ein, verwendet Zeit- und Ortskolorit, das mutet mitunter kolportagehaft an, doch bildet es meist den Radius der Figuren. Aus dem Stoff, den Katharina Born dem Leser in ihrem Erstling präsentiert, hätten gut und gerne zwei Bücher werden können – oder anders gesagt: Weniger wäre mehr gewesen.
Katharina Born: Schlechte Gesellschaft. Eine Familiengeschichte. C. Hanser. 266 S., geb., 19,90 €.
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