Leipzig im Smog: ein Museum mit Verfallsdatum

Norbert Vogel und Dietrich Oltmanns: Blicke auf eine geschundene Stadt

  • Ralph Grüneberger
  • Lesedauer: 3 Min.
Dietrich Oltmanns – Rathaus Leipzig. Das geliebte Unschöne – mal nicht »hinter Fahnentuch und Tünche versteckt« ...
Dietrich Oltmanns – Rathaus Leipzig. Das geliebte Unschöne – mal nicht »hinter Fahnentuch und Tünche versteckt« ...

Die geschundene Stadt Leipzig, die vom Grau verbrannter Briketts und den chemischen Ausdünstungen der umgebenden Anlagen zur »Kohleveredlung« gezeichnet war, der das Grundwasser abgegraben wurde, um Braunkohlenflöze freizulegen, und die dazu verdammt war, auf ewig Zeugnis abzulegen von den angloamerikanischen Bombardements im Zweiten Weltkrieg ...

Leipzig war ein Museum mit Verfallsdatum. In dem sich über mehrere Stadtviertel streckenden Freiluftbereich konnten Besucher die Gründerzeithäuser hinter einer Patina aus Rauchgasrückständen und den Schmauchspuren des Krieges betrachten. Wir wissen, das Unschöne zieht an. Zu den Mustermessen und für die Politkaste wurde es hinter Fahnentuch und Tünche versteckt. Dieser Stadt haben viele Fotografen ihre Aufmerksamkeit geschenkt, und das selten zufällig, denn Leipzigs Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB) bildete als einzige in der DDR künstlerische Fotografen und Fotodesigner aus.

Norbert Vogel, 1965 als 21-Jähriger in die Messestadt gekommen, unternimmt mit seinem Band »Meine graue Stadt« etwas Repräsentatives. Er zählt zu jenen, die der Fachklasse Fotografie der HGB angehörten, während Dietrich Oltmanns, gebürtiger Leipziger, sich um 1983 als Enddreißiger durch die Fotografie der Zwänge einer Arbeit »im Kollektiv« der Industrieingenieure entledigt. Seine Publikation hat dann auch mehr den Charakter eines Arbeitsjournals. Die Bindung lässt es zu, dass Oltmanns viele Breitformate, Stadtbildpanoramen unterbringt. Randlos und mit heutiger Technik aufgearbeitet erstrecken sie sich über das doppelte Format. Keine Frage, dass sowohl Vogel als auch Oltmanns das Graue(n) Leipzig(s) schwarz-weiß abbilden.

In der Motivwahl sind sich beide Fotografen ähnlich. Leipzig-Plagwitz hat bei beiden das Gros. Am Sachsenplatz kommen sie nicht vorbei. Im Smog halten sie nicht die Hand, sondern die Kamera vors Gesicht. Auch Gruppenbilder von Vergnügungen mögen beide. Sind es Rummel und Pferderennen bei dem einen, hat der andere auch das Feiervolk und die Hochrufer auf die Partei- und Staatsführung im Blick. Von besonderer Güte sind bei beiden all die dokumentierten Nischen, in denen es erträglich war, wo der Kohl schoss, die Vorfreude auf den Kaninchenbraten anwuchs und »der Prolet ein Prolet war«.

Oltmanns verzichtet bei seiner Kollektion auf genaue Orts- und Zeitangaben, sein rund 220 Seiten starker Band verfügt über keine Seitenzahlen. Vogels Fotografien wiederum haben etwas Dokumentarisches, etwas Überprüfbares, und die atmosphärischen Bilder heben sich praktisch selbst vom Hochglanzpapier und dem weißen Rahmen ab. Zudem wurde Norbert Vogels Fotofolge noch ein Geleitwort Bernd Lindners beigegeben, das viel Erklärendes mit sich führt und ziemlich nüchtern anmutet. Dietrich Oltmanns hingegen traut seinen eigenen Erinnerungen und streut sie ein. Im Vergleich: Das von Oltmanns ist ein sehr persönliches Buch, das den Betrachter hineinzieht. Der Band von Vogel forciert die distanzierte Bildbetrachtung.

Norbert Vogel: Meine graue Stadt. Geleitwort von Bernd Lindner. Mitteldeutscher Verlag. 128 S., geb., 19,90 €€.
Dietrich Oltmanns: Sichtung – Leipzig von den Rändern. Fotografien 1980-1990. ex pose verlag. 220 S., br., 29,80 €.

Norbert Vogel – Leipzig 1989, Sachsenplatz.
Norbert Vogel – Leipzig 1989, Sachsenplatz.
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