Eine Welt der »vergessenen« Kriege
Auch Deutschland heizt mit seinen Rüstungsexporten gewaltsame Konflikte an
Trotz des heutigen Weltfriedenstags dauern die Kämpfe in Libyen an. In den vergangenen Monaten richtete sich die internationale Aufmerksamkeit vor allem auf die Ereignisse in Nordafrika und im Nahen Osten. Doch Kriege und bewaffnete Konflikte fordern nach wie vor in vielen Teilen der Welt täglich neue Opfer.
Viel Hoffnung war mit der international begrüßten und unterstützten Unabhängigkeit Südsudans im Juni dieses Jahres verbunden. Doch der 193. und jüngste Staat der Erde findet keine Ruhe, und auch im Norden Sudans geht die Gewalt weiter. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) wirft der Regierung in Khartum Kriegsverbrechen gegen die eigene Bevölkerung vor. So seien bei Luftangriffen in Süd-Kordofan mindestens 26 Menschen zu Tode gekommen. Der umstrittene Bundesstaat war unter der Verwaltung des Nordens geblieben, immer wieder gibt es gewaltsame Zusammenstöße zwischen den ehemals mit der Unabhängigkeitsbewegung im Süden verbündeten Nuba-Rebellen und der sudanesischen Armee.
Auch wenn die Zahl der Kriege auf der Welt nach Untersuchungen der Hamburger Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung (AKUF) gesunken ist – die Wissenschaftler erfassten zuletzt 32 –, warnen sie wie ihre Kollegen vom Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung (HIIK) vor allzu großem Optimismus. Denn der leichte Rückgang gegenüber den Vorjahren bedeute nicht zwangsläufig, dass die Welt friedlicher geworden wäre. Auch weil weiter eine ganze Reihe von gewaltsam ausgetragenen Konflikten zu beobachten sei, die unterhalb der Kriegsschwelle für Leid und Not sorgten. Hier, so das Heidelberger »Konfliktbarometer«, bestehe die große Gefahr einer weiteren Eskalation auf kriegerisches Niveau. Zumal soziale Ungleichheit, Armut, Hunger und Kriminalität weiterhin den Nährboden für alte und neue Brandherde bildeten.
Prof. Hans J. Giessmann, Direktor des Berliner Forschungszentrums Berghof Conflict Research, erinnert in diesem Zusammenhang an die vielen »vergessenen« Kriege. Vor allem Konflikte, die über einen langen Zeitraum anhielten, weiter entfernt stattfänden und hierzulande die Herzen weniger berührten, gerieten schnell aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit. So würden etwa die Auseinandersetzungen in Kaschmir, Tschetschenien oder Sri Lanka kaum noch wahrgenommen, was vor allem von politischen Interessen gesteuert sei.
Die von organisierten Kämpfen zahlenmäßig am stärksten betroffenen Weltregionen sind nach den Analysen der Hamburger Friedensforscher nach wie vor Asien, der Nahe und Mittlere Orient sowie Afrika mit jeweils zehn kriegerischen Konflikten. Valerie Amos, UN-Untergeneralsekretärin für humanitäre Angelegenheiten, beklagte dabei die wachsende Zahl ziviler Opfer in diesen Konflikten und verwies neben Sudan auf Somalia, die Demokratische Republik Kongo, Kolumbien oder die Zentralafrikanische Republik. Auch in Afghanistan gibt es zehn Jahre nach Beginn der USA-Intervention keine Besserung, im Gegenteil. Allein im Vorjahr seien insgesamt 7000 Zivilisten getötet oder verletzt worden, berichtete Valerie Amos dem UN-Sicherheitsrat, ein Fünftel mehr als noch 2009.
Das Rote Kreuz hat im vergangenen Jahr die Rekordsumme von 809 Millionen Euro für die Opfer von Kriegen und Naturkatastrophen eingesetzt. Besonders viel Hilfe hätten die Menschen in den Konfliktländern Afghanistan, Sudan und Kongo gebraucht, wie das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) mitteilte. Auch vor diesem Hintergrund sind die bekannt gewordenen Rekorderträge der größten Waffenschmieden unverantwortlich, zumal ihre Lieferungen immer wieder Konflikte anheizen. Laut dem Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI stieg der Umsatz der 100 größten Rüstungskonzerne im Vorjahr um acht Prozent auf über 400 Milliarden Dollar. Dabei sind die USA für 30 Prozent der Waffenexporte verantwortlich, aber schon hinter Russland folgt Deutschland mit einem in den letzten fünf Jahren von sechs auf elf Prozent gesteigerten Weltmarktanteil auf Platz 3.
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