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Massaker vor Gericht

Anwalt streitet für Entschädigung nach Bombardement bei Kundus

  • Harald Neuber
  • Lesedauer: 3 Min.
Eine Zivilklage soll die Verantwortung klären und Schadensersatz für die Angehörigen der Opfer des Bombenangriffs von Kundus im September 2009 erreichen. 139 Zivilisten waren dabei ums Leben gekommen. Der Opferanwalt erhebt schwere Vorwürfe gegen das Bundesverteidigungsministerium.

Das Bombardement zweier Tanklastwagen im Norden von Afghanistan vor fast genau zwei Jahren wird nun deutsche Gerichte beschäftigen. Ein Anwaltsteam um den Bremer Juristen Karim Popal wird zum zweiten Jahrestag des tödlichen Luftangriffs in der Nähe der Stadt Kunduz im Namen der Hinterbliebenen in Deutschland Zivilklage einreichen. Am Donnerstag stellte Popal die Klage im Beisein von Oppositionspolitikern und Vertretern der Juristen- und Friedensorganisation IALANA in Berlin vor – und erhob zugleich massive Vorwürfe gegen das Bundesverteidigungsministerium.

Der Bombenangriff von Kundus ist der schwerwiegendste tödliche Zwischenfall, in den deutsche Truppen seit Ende des Zweiten Weltkriegs verstrickt waren. Bei dem Angriff am frühen Morgen des 2. September 2009 verbrannten in den Flammen der zuvor von Taliban gekaperten zwei Tanklaster 139 Zivilisten – Männer, Frauen und Kinder. Angeordnet hatte den Angriff US-amerikanischer Kampfpiloten der für die Region zuständige Bundeswehroberst Georg Klein. Nach Ansicht von Otto Jäckel, dem Vorsitzenden der IALANA, beging der deutsche Militär schon mit der Order einen schweren Regelverstoß. Zweimal hätten die US-Piloten nachgefragt, ob Besatzungstruppen unmittelbar in Gefahr seien – eine Voraussetzung für solche Angriffe. Zweimal habe Klein »confirmed« zurückgefunkt: »bestätigt«.

Der Fall hat seither einen Untersuchungsausschuss des Bundestags beschäftigt – ohne ernste Folgen für die Verantwortlichen. Popal und seine Kollegen setzen sich daher für eine Aufarbeitung vor deutschen Gerichten ein – und betreten damit juristisches Neuland: Opfer eines Angreiferstaates verklagen die verantwortlichen Militärs vor deren Heimatgerichten. Zwar sind den Familien von rund 100 Opfern von der Bundesregierung 5000 US-Dollar »freiwillige Entschädigung« zugesprochen worden. Doch in vielen Fällen sei das Geld bei den Betroffenen nicht angekommen. Popal und seine Kollegen fordern auf der Basis von vergleichbaren Fällen nun 33 000 US-Dollar Entschädigung pro Opfer. Und sie wollen eine Anerkennung des mutmaßlichen Kriegsverbrechens.

Klagen für den Frieden

Für IALANA-Chef Jäckel und Anwalt Popal ist die Klage ein Beitrag zum Frieden. Nach verbreiteten Moral- und Wertvorstellungen müssten die Angehörigen der Opfer Blutrache üben, sich etwa den Taliban anschließen und gegen die Besatzer kämpfen. »Ich habe den Angehörigen aber immer wieder versichert, dass Deutschland ein Rechtsstaat ist und selbst hochrangige Politiker vor Gericht gestellt werden können«, sagte der aus Afghanistan stammende Popal. Inzwischen zweifelt er selbst an dieser These.

Einen wahren Propagandafeldzug habe das Verteidigungsministerium gegen ihn gestartet, sagte der deutsch-afghanische Jurist am Donnerstag. So habe das Ministerium behauptet, dass er für die Klagen der Opferfamilien keine Vertretungsvollmacht habe. »Dabei habe ich 74 dieser Vollmachten«, sagt Popal und hält ein solches Dokument in die Kamera. Später sei behauptet worden, er vertrete die Taliban. »Eine Unverschämtheit«, entgegnet der Anwalt, dessen Rechercheur in Kundus selbst Opfer der Aufständischen wurde. Die dritte These aus deutschen Ministeriumskreisen sei, dass er nur aus Geschäftsinteresse handle. Doch weder Popal noch die anderen Anwälte berechnen Honorare.

Vor Klageerhebung holte Popal daher zum Gegenschlag aus. Ein Großgrundbesitzer in der Region Kundus habe im vergangenen Jahr 50 000 Euro erhalten, um eine Straße zu bauen, die nie gebaut wurde. Popal ist sich sicher: »Das waren Schmiergelder, um den Widerstand gegen mich zu schüren und Aussagen zu erkaufen.« Darauf wiesen Indizien in afghanischen Justizakten und Zeugenaussagen hin. Doch der Anwalt bekommt auch Rückendeckung. Etwa vom Bundestagsabgeordneten der Wolfgang Gehrcke (LINKE), der bestätigt: »Das Bundesverteidigungsministerium lehnt bis heute jede Zusammenarbeit mit Herrn Popal ab, ohne dies zu begründen.«

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