UNO warnt vor Sparkurs
Ohne gezielte Staatsinvestitionen drohe eine neue Wirtschaftskrise
Supachai Panitchpakdi geht gebeugt zum Podium, als trage er eine schwere Last. Selbst die Stimme des Thailänders wirkt müde. Mehr als einmal muss er seine Gedanken sammeln, bevor er weiterspricht. Doch dann ist er entschieden, fast kämpferisch. »Die Lage war noch nie so kritisch wie jetzt«, erklärt der Ökonom. »Wenn wir jetzt nicht umsteuern und den drastischen Sparkurs in den EU-Ländern sofort beenden, droht eine neue Wirtschaftskrise.«
Den Sparkurs beenden? Das klingt wie die Botschaft von einem anderen Planeten. Während Panitchpakdi, Generaldirektor der UN-Organisation für Handel und Entwicklung (UNCTAD), in Genf mehr Investitionen aus der Staatskasse fordert, plädiert der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) in Berlin für das krasse Gegenteil. Schäuble will mehr sparen, und Staaten wie Griechenland, die vor der Pleite stehen, sollen es auch – oder sie bekommen kein frisches Kapital mehr. Die Warnungen Panitchpakdis verhallen im Bundestag ebenso wie in den meisten anderen reichen Nationen. Genau davor hat Panitchpakdi, einst Chef der Welthandelsorganisation (WTO), Angst. Er weiß, dass die Chancen, gehört zu werden, gering sind.
Dabei enthält der Bericht zur Lage der Weltwirtschaft, den UNCTAD jedes Jahr vorlegt, viel Stoff zum Nachdenken. Etwa die Tatsache, dass die klassische Wirtschaft in den USA, Japan und Europa, die auch heute noch siebzig Prozent der Weltwirtschaft ausmachen, kaum noch wächst. Die boomenden Schwellenländer, allen voran China und Indien, wachsen zwar noch, so Panitchpakdi. »Aber ihre Dynamik alleine reicht nicht aus, um die Weltwirtschaft nach der jüngsten Krise wieder in Gang zu kriegen – dafür sind sie einfach noch nicht bedeutend genug.« Auch die Privatwirtschaft sei nicht in der Lage, das Vakuum zu füllen. »Die Banken sind noch dabei, ihr Kapital wieder aufzustocken und vergeben keine Kredite.«
Ohne Dynamik aber, ohne Stimulierung, werde die Weltwirtschaft im besten Fall stagnieren, sagt Heiner Flassbeck voraus, der bei UNCTAD für Globalisierungsfragen zuständige Direktor. Einst war Flassbeck Staatssekretär des glücklosen SPD-Finanzministers Oskar Lafontaine. Damals wie heute plädiert er für eine nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik, die seit den 80er Jahren gegenüber dem Neoliberalismus ins Hintertreffen geraten ist. »Wenn der Konsum nicht anspringt, dann ist Nullwachstum noch das Beste, was uns passieren kann«, so Flassbeck. Seit 15 Jahren seien etwa die Gehälter in Deutschland real nicht mehr gestiegen. Jetzt seien auch in den USA erstmals Nullrunden vereinbart worden. »Woher soll das Wachstum kommen, wenn niemand investiert?«, fragt Flassbeck. Genau das müssten jetzt die Industrieländer tun. Dass Sparen alleine nicht hilft, sieht Flassbeck nicht zuletzt in Griechenland bestätigt. »Mitten in der Rezession hat man Athen einen Sparkurs verordnet, mit katastrophalen Folgen: Das Land rutscht immer weiter in die Rezession, weil niemand mehr in mögliches Wachstum investiert.«
Statt neuen Sparprogrammen fordert UNCTAD öffentliche Investitionen in Infrastruktur und gezielte Subventionen für die Privatwirtschaft, die das Ziel haben müssen, Arbeitsplätze zu schaffen. Der Abbau der Staatsschulden, so die UNCTAD-Ökonomen, müsse später folgen. »Die hohe Verschuldung ist nicht die Ursache, sondern die Folge der Wirtschaftskrise«, so Panitchpakdi. Er rät Regierungen, nicht länger auf das Vertrauen der Finanzmärkte zu schielen. Sie sind es, die vor allem einen Abbau der Staatsschulen fordern. »Wenn man sich ansieht, wie unverantwortlich sich zahlreiche Akteure auf dem Finanzmarkt verhalten haben, so dass sie von Staaten ausgelöst werden musste, dann sollte man diesen Institutionen schlicht nicht mehr trauen.« Das gelte auch für die zuletzt massiv in die Kritik geratenen Ratingagenturen. UNCTAD fordert deshalb auch eine stärkere Regulierung des Finanzmarktsektors.
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