Organisieren statt Lamentieren
Eigeninitiative und Solidarität: Über den Arbeitskampf an der Schwedischen Schule Berlin
»Die Schwedische Schule in Berlin bietet ein geschütztes, sicheres schulisches Umfeld mit Zweisprachigkeit und Unterricht in kleinen Gruppen, angeleitet durch kompetente Pädagogen«, heißt es auf der Homepage der Lerneinrichtung in Berlin-Wilmersdorf. Sie wird von über 50 Schülern, vor allem Kinder von in Deutschland lebenden schwedischen Künstlern und Diplomaten, besucht.
An dieser Schule gelang es einem engagierten Gewerkschafter, die Arbeitsbedingungen entscheidend zu verbessern. Im Sommer 2010 nahm Johnny Hellquist die Arbeit in Berlin auf und war über die dortigen Arbeitsbedingungen empört. »Es gab weder Arbeitsverträge, noch Lehrerzimmer oder Arbeitsräume. Eine Stunde pro Woche arbeiteten wir unentgeltlich in der Schule und mussten uns auch darauf einstellen, bei Klassenfahrten und an vereinzelten Wochenenden unsere Arbeitskraft unbezahlt zur Verfügung zu stellen«, berichtete er gegenüber ND. Bei seinen sechs Kollegen stieß er sofort auf offene Ohren, als er Treffen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen organisierte. Die Lehrer hatten mehrmals die schwedische Akademikergewerkschaft über die prekären Arbeitsbedingungen in Berlin informiert. Die hatte allerdings bedauernd mitgeteilt, in Deutschland nicht eingreifen zu können. Ein Kontakt zur hiesigen GEW wurde ihnen nicht vermittelt. In Schweden existieren drei gewerkschaftliche Dachverbände, die getrennt Arbeiter, Angestellte und Akademiker vertreten und sozialpartnerschaftlich orientiert sind. Lediglich der anarchosyndikalistische Gewerkschaftsverband SAC, in dem Hellquist organisiert war, setzt auf gemeinsame Organisierung von Arbeitern, Angestellten und Akademikern. Die SAC spielt mit ihren über 6000 Mitgliedern als kämpferische Gewerkschaft eine wichtige Rolle auch in schwer organisierbaren Branchen. In Berlin war Hellquist erfolgreich. Als die Lehrer kollektiv die Teilnahme an einer weiteren Klassenfahrt ohne Bezahlung verweigerten, kam der Durchbruch. Ab Herbst 2011 erhalten alle Pädagogen erstmals schriftliche Arbeitsverträge. Alle Arbeitsstunden und Klassenfahrten werden künftig bezahlt. Zudem wurde ein Arbeits- und ein Lehrerzimmer in der Schule eingerichtet.
Für diesen Erfolg macht Hellquist neben der Organisierung der Kollegen auch die Unterstützung durch Eltern und Schüler verantwortlich. Die zeigte sich am 29. Mai, als dem engagierten Gewerkschafter von der Direktion mitgeteilt wurde, dass sein Arbeitsvertrag nicht verlängert werde. Er wurde aufgefordert, die Schlüssel abzugeben und das Schulgelände sofort zu verlassen. Diese Disziplinierungsmaßnahme war für Hellquist ein Ansporn zum Widerstand: »Abends schrieb ich einen langen Brief an die Eltern, in dem ich sie über das ganze Drama aufklärte und ihnen vorschlug, an die Schuldirektorin und den Vorstand zu schreiben und ihre Meinung kundzutun«, erzählt er. Über die Reaktion war er selber erstaunt. Schüler richteten auf »Facebook« eine Seite mit dem Titel »Wir wollen Johnny zurück« ein, 20 Eltern drohten mit der Besetzung des Schulgebäudes, wenn die Entlassung von Hellquist nicht zurückgenommen wird. Am nächsten Tag kam die Schulleitung der Forderung nach. »Weniger Lamentieren – mehr Organisieren«, dieses Fazit zieht Hellquist aus seinen Erfahrungen, die er auf viele Arbeitsbereiche für übertragbar hält.
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