»König der Könige« wird zum Asylbewerber
In Afrika will niemand mehr den libyschen Machthaber Muammar al-Gaddafi haben
Afrikaner in der europäischen Diaspora müssen Muammar al-Gaddafi geliebt haben. Denn nirgends war das Reisen in die Heimat so günstig wie mit der staatlichen libyschen Fluggesellschaft Afriqiyah Airways, die über Tripolis ganz Westafrika anflog. Die Ausstattung der Maschinen war modern, die Sitze glänzten in einem frisch-frechen Grün, überall strahlte das Logo »9.9.99«. Ein Zufall sind die vier Neunen nicht, sondern das Datum der Sirte-Deklaration vom 9. September 1999. Damals entschied sich die Organisation für Afrikanische Einheit (OAU), die heutige Afrikanische Union (AU) zu gründen. Gaddafi galt als federführend und warb mit viel Geld bei afrikanischen Staatschefs für diese Idee. Gaddafi – der Afrikaner, der Finanzier des Einheitsgedankens. Aus Libyen sollen immerhin 15 Prozent des jährlichen Budgets der AU geflossen sein. Daher erscheint es nur logisch, dass er sich vor drei Jahren zum »König der Könige« wählen ließ. Verliehen hatten ihm diesen Titel in der libyschen Stadt Bengasi, in der heute längst der Nationale Übergangsrat Libyens (NTC) herrscht, mehr als 200 traditionelle Herrscher. Sie waren sicher: Afrika braucht die alten Strukturen und Führer, um das afrikanische Erbe zu bewahren, aber auch, um ein Gegengewicht zu Europa und Nordamerika zu sein.
Jetzt wird der einstige Strahle-Afrikaner zum Asylsuchenden, den niemand haben will. Meldungen, dass Gaddafi mit einem riesigen Konvoi von mehr als 200 Autos auf dem Weg nach Niger sei, hat der dortige Außenminister Mohamed Bazoum verschiedenen Medienberichten zufolge dementiert. Gleiches gilt für das Nachbarland Burkina Faso. Obwohl Außenminister Djibril Bassole Gaddafi angeblich vor zwei Wochen Asyl angeboten haben soll, hält sich die Regierung nun zurück und will von nichts wissen. Das berichtet das Magazin »Fasozine«, das in der Hauptstadt Ouagadougou erscheint.
Dieser Trend zeichnet sich seit Mitte August in Afrika ab. So erklärte die nigerianische Regierung unter Goodluck Jonathan vor zwei Wochen, sie würde den Nationalen Übergangsrat Libyens als Vertreter des Volkes anerkennen, und forderte Gaddafi zum Aufgeben auf. Acht Wochen zuvor hatte einer seiner Verbündeten in der Hauptstadt Abuja noch um Unterstützung gebeten – doch vergebens.
Auf Zustimmung stößt die Entscheidung längst nicht überall auf dem Kontinent, auch wenn sich die große Mehrheit der afrikanischen Staatschefs genauso geäußert hat. Vielen Afrikanern geht es zu weit. So hat der botswanische Oppositionspolitiker Moeti Mohwasa in einem am Mittwoch veröffentlichten Zeitungsinterview kritisiert: »Die Vereinten Nationen vertreten westliche Interessen. Sie wollen Gaddafi umbringen, weil er eine Inspirationsfigur für andere afrikanische Führer ist.« Wenn Afrika gegen den Herrscher und für die UNO sei, würde das die gesamte Region schwächen.
Ähnlich bewerten es viele Menschen im muslimisch geprägten Nordnigeria. »Die Unterstützung der UNO kann radikale Strömungen beflügeln«, schätzt Muhammad Sani Isah. Der Imam, der sich in der nordnigerianischen Stadt Kaduna für den Dialog der Religionen einsetzt, denkt vor allem an die radikale islamische Sekte Boko Haram, die vor knapp zwei Wochen das Gebäude der Vereinten Nationen (UNO) in Abuja angegriffen hatte. Zwar hat Boko Haram (Westliche Bildung ist Sünde) eine lokale Agenda. Doch durch die Verbindungen zum Terrornetzwerk Al-Qaida ist die Gruppe nun auf einer internationalen Ebene angelangt, wie es Hussaini Abdu, Leiter der Organisation »ActionAid«, nennt. Dadurch könnte sie nun stärker von internationalen Strömungen beeinflusst werden.
In Europa und den USA müsste Nigeria allerdings punkten. Mit der Anti-Gaddafi-Haltung versucht sich das Land international und demokratisch zu geben und sein arg angeschlagenes Image aufzupolieren. Zu einem großzügigen Geldgeber wie Libyen wird es sich allerdings nicht entwickeln. Zwar verfügt Nigeria über Öl, doch die eigene Wirtschaft ist marode und die Korruption blüht. 64 bis 70 Prozent der Einwohner leben unterhalb der Armutsgrenze.
Ausbooten könnte der Riesenstaat allerdings Südafrika in Sachen Vormachtstellung auf dem Kontinent. Denn der südafrikanische Präsident Jacob Zuma gilt als einer der letzten Unterstützer Gaddafis. In Nigeria brodelt derzeit die Gerüchteküche, welche Rechnungen die Länder wohl zu begleichen haben. Möglicherweise geht es um den permanenten Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Beide hätten ihn gerne, das UNO-freundlichere Bild gibt nun allerdings das westafrikanische Land ab.
Der afrikanische Einheitstraum
25.5.1963: Gründung der Organisation der Afrikanischen Einheit (OAU) in Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba.
9.9.1999: Muammar al-Gaddafi lädt zum Afrika-Gipfel nach Sirte ein, auf dem er die Gründung der »Vereinigten Staaten von Afrika« mit gemeinsamer Regierung als Ziel verkündet.
Juli 2000: Der Gipfel der OAU beschließt in Lomé (Togo), eine gegenüber Gaddafis Überlegungen stark abgeschwächte Afrikanische Union anzupeilen.
März 2001: Zweiter Afrika-Gipfel auf Einladung Gaddafis in Sirte. Die Gründung der AU wird formell verkündet.
11.7.2001: Um die politische und wirtschaftliche Integration voranzutreiben, beschließen die Mitgliedstaaten in Sambias Hauptstadt Lusaka die Überführung der OAU in eine am Vorbild der EU orientierte AU.
9.7.2002: Im südafrikanischen Durban wird die AU als Nachfolgeorganisation der OAU gegründet. Mitglieder der AU sind 53 afrikanische Staaten und die Demokratische Arabische Republik Sahara. Marokko gehört als einziger afrikanischer Staat nicht der AU an. Es protestiert damit gegen die Mitgliedschaft der Republik Sahara. Die Präsidentschaft rotiert: Gaddafi amtiert von Februar 2009 bis Januar 2010.
31.8.2011: Libyen-Konferenz in Paris. Die AU will den Nationalen Übergangsrat der Rebellen vorerst noch nicht als neue libysche Führung anerkennen. Sie legt ihren Mitgliedern nahe, im Falle eines Falles Gaddafi nicht auszuliefern.
7.9.2011: Die AU kritisiert Übergriffe auf Schwarze in Libyen. Der AU-Kommissionspräsident Jean Ping rief in Paris den Nationalen Übergangsrat in Libyen auf, sich von den Gewalttaten gegen Schwarze zu distanzieren, die unter dem Vorwand verübt würden, dass es sich um Söldner Gaddafis handele. ML
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