Meister aller Master

Mit Günther Jauch geht die ARD in die totale Talkshow-Offensive

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 6 Min.

»Das Ganze ist also eine Rederei.« Würde man Dietmar Schönherr 38 Jahre später zur Definition der Talkshow als solcher bitten, die er 1973 nach Deutschland importierte – das lebende Fossil der ganzen Rederei-Zunft müsste seinen legendären Eröffnungssatz von »Je später der Abend« umformulieren. Etwa in Richtung: »Das ganze Fernsehen ist also eine Rederei.« Besser: »Die ARD ist ganz und gar Rederei …« Am besten: »Kann sich mal jemand was Neues ausdenken?«

Anscheinend nicht. Denn schon als Frank Plasbergs »hart aber fair« 2009 seine gemütliche WDR-Nische für den ausgeleuchteten ARD-Abend räumte, war von »Talkshow-Overkill« die Rede. Jetzt aber, nach der Sommerpause, ist das Erste kurz von der totalen Talkshowisierung entfernt. Fragt sich also nur: Wann bittet Gottschalk nach dem Wort zum Sonntag zur Gesprächsrunde? Wann zieht Markus Lanz von Mainz nach München? Und Johannes B. Kerner soll ja auch nicht glücklich sein bei Sat. 1.

All diese Redundanz meist 75-minütiger Dampfplauderei an fast allen Tagen, gleich nach den »Tagesthemen«, sofern König Fußball dem Redefluss nicht beherzt übers Maul grätscht, steht im Schatten eines Mannes: Günther Jauch. Der Deutschen liebster Moderator wird fortan zum Meister aller Master. Das zeigt sich nicht nur in ein paar bemerkenswerten Ausnahmen vom strengen Schema der ARD, die ihm bei kürzerer Arbeitszeit (60 Minuten) zu Topkonditionen (10,5 Millionen Euro), quasi selbst ausgezahlt von seiner eigenen Produktionsfirma (I&U), nicht nur den prestigeträchtigen Sendeplatz (Sonntag) nach dem »Tatort« bei früherem Anstoß (21.45 Uhr) gewährt. Sie verpasst ihm auch ein Siegel, das in Zusammenhang mit Jauch nicht jedem Kollegen leicht von den Lippen geht: Journalist.

Denn der öffentlich-rechtliche Neuerwerb mag ja ein charmanter, witziger, schlagfertiger Gastgeber mit der Idealmischung aus Ironie und Empathie sein – als seriöser Hort einer soziokulturell relevanten Diskussionssendung, die der NDR fraglos liefern will, taugt der nette Quizonkel in etwa wie Christine Neubauer fürs ernste Bühnenfach.

Jauchs Revier ist der nette Plausch mit arglosen Partnern, gern mal über Unerfreuliches (Kinderkrankheiten, Kinderarbeit, Kindesmissbrauch), aber stets in heimeliger Atmosphäre. Dabei liebt der hünenhafte Kindskopf von nun auch schon 55 Jahren die große Bühne. Er besteigt sie stets so souverän wie selbstverständlich, obwohl dem Oberschichtenkind mit jahrhundertealtem Stammbaum jede zu große Geste spürbar unangemessen erscheint. Und bei RTL hat der gelernte Sportreporter in knapp 1000 Folgen »stern TV« bewiesen, dass ein Gesellschaftsmagazin volle zwei Jahrzehnte politik-, ja bedeutungsfrei und dabei trotzdem erfolgreich sein kann.

Aber sind das wirklich schlechte Voraussetzungen fürs Flaggschiff aller Moderatoren im Flaggschiff aller Debattierclubs des Ersten Programms? Eher nicht. Denn der plebejische Hass, der sich im Streit um Guttenbergs Betrügereien auf alles Akademische entladen hat, der fundamentalistische Hass, der sich gegen alles Naturwissenschaftliche richtet, der antietatistische Furor, die Wut der Entrechteten, die in Großstädten jedes Automobil zum Symbol kapitalistischer Ausgrenzung erklären. All das verweist auf eine bemerkenswerte Hinwendung zur kognitiven Schlichtheit, zur Apotheose des kleinen Mannes – zu so einem wie Jauch, ob seine Potsdamer Luxusvilla nun wachdienstgeschützt ist oder nicht.

Jauch ist das bürgerliche Bindeglied schlechthin, der Steg über alle Einkommensgräben, ein schichtensprengender Vorbilddeutscher, den bei direkter Wahl eine Mehrheit zum Präsidenten machen würde. Reich und einflussreich qua Geburt, beugt er sich so milde zur Unterschicht hinunter, dass sie meint, da empfinde einer für sie. Nach dem Sonntagskrimi dürfen echte Fans jetzt also frohlocken. Und zu den echten Fans zählt fraglos: Volker Herres. Jauch ins Haus zu holen ist ebenso das Werk des ARD-Programmdirektors wie die Abwerbung von Thomas Gottschalk oder von Matthias Opdenhövel (Sportschau) und rechtfertigt manchen Kollateralschaden. Anne Will mag sich zwar freuen, »am ungelernten Sendeplatz nun sehr viel freier aufspielen zu können«; dass Herres ihrem Nachfolger ihren vormaligen Sendeplatz mit geschätzt 40 Prozent mehr Gehalt polstert, grenzt dennoch an einen Affront. Günther Jauch rechne sich von allein, sagte er kürzlich beim Dinner in einem Hamburger Luxushotel. Ein telegenes Dickschiff wie dieses könne man als Programmdirektor »nicht guten Gewissens anderen überlassen.« Kein Wunder, dass die Sendung bloß mit »Günther Jauch« übertitelt wird – mehr als den Namen gibt es nicht.

Bis auf die immergleichen Standards, versteht sich. Warum sollten die auch gerade für den Talklehrling übern Haufen geworfen werden, der sich seine neue Geldmaschine, pardon: Rolle »erst mal erarbeiten muss«, wie er beteuert. Also wird auch bei ihm ein Parteistratege (plus Proporz-Konkurrent), ein Wirtschaftsboss (gern Hans-Werner Sinn), ein Kleriker (gern auch ein Linker), ein Rechter (gern Arnulf Baring), ein/e Schauspieler/in (gern ergraut), ein Ottonormalgast (gern robust) und Richard David Precht sitzen.

Zur Aufklärung trägt diese Routine aus Sicht von Bernd Gäbler, Ex-Geschäftsführer des Adolf-Grimme-Instituts, außer einem »Sehschlitz« auf gesellschaftliche Vorgänge nichts bei. Dass dafür auch noch der letzte Dokumentarfilmplatz vorm Tiefschlaf (Montag, 21 Uhr) beerdigt wird, hält das Erste angesichts der Resonanz trotzdem für hinnehmbar. Denn die Zuschauer schauen zu – ob fürstlich viele (Will) oder akzeptabel wenige (Beckmann), von RTL-geschult (Plasberg) bis Arte-affin (Maischberger), für jedermann (Jauch) oder keinen (Jauch), mit Anspruch (alle) oder ohne (alle). Denn man muss der Talkflut zugute halten: Über Politik wird nach der langen Banalisierungsphase im dualen System wieder mehr geredet.

Manche mögen sagen: gelabert; aber das ist angesichts all der Sachkenntnis, die sich da oft versammelt, auch wieder zu billig. So wie das geliebte Ritual des Beckmann-Bashing. Der vermeintliche Weichspüler des Wortfernsehens liefert oft dessen spannendste Momente. Wo sich Anne Will beim, Neustart – Thema Jugendgewalt – die abgenudelten Sido und Stoiber lädt, sind es bei Beckmann auch mal »Tatort«-Ermittler in toto oder Westerwelle solo. Echte Alleinstellungsmerkmale. Andererseits: Wenn Beckmann herausragt, sagt das viel übers Genre.


Günther Johannes Jauch entstammt dem Hamburger Hanseatengeschlecht Jauch, das ab dem 18. Jahrhundert zur Oberschicht der Hansestadt gehörte. Sein Vater war der Journalist Ernst-Alfred Jauch, sein Großvater Hans Jauch Offizier im Ersten und Zweiten Weltkrieg und Anfang der 1920er Jahre Freikorps-Führer. Günther Jauch wuchs im Villenort Lichterfelde-West in Berlin auf. Nach dem Journalistik-Studium wurde er Hörfunk-Moderator beim Bayerischen Rundfunk. 1984 wechselte er zum Fernsehen. Zunächst war er für die ARD und später für das ZDF tätig, 1990 unterschrieb er einen Vertrag bei RTL.

Mit Günther Jauch ist die Talkshow-Flotille der ARD komplett. Künftig bittet das Erste an fünf Tagen in der Woche zur Plauderei: Nach Jauch zur Prime-Time am Sonntagabend folgen Frank Plasberg mit »hart aber fair« (Montag, 21 Uhr), Sandra Maischberger (»Menschen bei Maischberger«, Dienstag, 22.45 Uhr), »Anne Will« (Mittwoch, 22.45 Uhr) sowie »Beckmann« (ebenfalls 22.45 Uhr). ND

»Günther Jauch«, ARD, So., 21.45 Uhr.

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