Petersilie fürs Parteiprogramm
Gesonderte Frauenpolitik bringt Frauen und die LINKE nicht weiter, meint die Feministin Frigga Haug
ND: Die Linkspartei ging nach den Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern streng quotiert in die Sondierungsgespräche mit der SPD. Zwei Frauen und zwei Männer. Ist das ein Zeichen dafür, dass die Linkspartei in Sachen Frauenpolitik gut da steht?
Haug: Das ist ein Zeichen dafür, dass die LINKE einen Anfang machte. Es gilt ja die Quote in der gesamten Linkspartei, aber sie ist immer bedroht, auch weil nicht genügend neue Frauen in die LINKE eintreten. Aber die Quote ist notwendig, damit Frauen auf Augenhöhe verhandeln können. Sie ist ein Weg, nicht selbst das Ziel. Ich bin dafür.
Warum sind Sie 2007 auf dem Gründungsparteitag eingetreten?
Ich war schon fast 70 und bis dahin in keiner Partei gewesen, obwohl ich mein ganzes Leben in linker Politik verbracht habe, in einer theoretischen Zeitschrift, in der Frauenbewegung, im sozialistischen Studentenbund, in den Gewerkschaften, in der kirchlichen Erwachsenenbildung und an der Uni. Als sich dann endlich PDS und WASG zusammenschlossen, dachte ich: Dies ist die Chance, die LINKE auch im Westen – ich war ja im Westen – aus dieser zerstrittenen Winzigkeit und Bedeutungslosigkeit herauszuziehen und eine Kraft jenseits der zum Neoliberalismus übergegangenen SPD zu gewinnen. Wie ich theoretisch und praktisch Politik mache, wäre es ganz unglaubwürdig, wenn ich dort nicht mitmachte. Und ich war empört, als das erste Eröffnungsbild in Gestalt von drei Männern mit erhobenen Fäusten vor mir stand.
Gysi, Bisky, Lafontaine.
Ja. Aber ich habe dann gleich verkündet, mit diesen drei Männern als Symbol kann das nicht weiter gehen. Ich trete jetzt ein, das zu verändern. Schon auf dem Gründungsparteitag haben wir ein Frauenplenum gemacht, Konferenzen geplant und darüber diskutiert, wie wir die Frauen zusammenführen können, dass wir andere Vorschläge machen müssen, wie in dieser Partei frauenpolitisch gearbeitet werden müsste.
Was hat sich seitdem geändert?
Für mich ganz viel. Ich bin wenig später in den Parteivorstand eingeladen worden, um Vorschläge zur »Erhöhung der frauenpolitischen Kompetenz der LINKEN« zu machen. Bisky und Lafontaine haben mich offiziell aufgefordert, die Erstellung des Programms feministisch-wissenschaftlich zu begleiten, damit es nicht so weitergeht, wie es war. Es ist immer so und bis heute und auch in dem jetzigen Programmentwurf, dass irgendwann jemandem auffällt: Ach, wir haben schon wieder die Frauen vergessen. Dann wird ein kleiner Absatz geschrieben...
...und Frauen werden wie Petersilie drüber gestreut, wie Sie einmal formulierten.
Genau. Jeder darf sagen, was ihm noch zu Frauen einfällt. Das steht dann irgendwo zwischen Migrantenpolitik und Individualrechten. Aber es gibt keinen Zusammenhang, keine Perspektive, keine Konsequenz, keine Grundlegung. So kann man höchstens zeigen: Es stehen immer noch die gleichen Frauenforderungen auf der Tagesordnung wie vor 100 Jahren und alle fangen zu gähnen an, wenn sie das hören. Mit Recht übrigens, denn offensichtlich ist etwas an den Forderungen verkehrt.
Was fordern Sie?
Eine theoretische Forderung, mit praktischen Konsequenzen ist, dass die Partei keine eigene Frauenpolitik machen sollte. Die Zuweisung der Themen Kindergärten, Kinderkrippen, Familie und so weiter in den Bereich der Frauenpolitik ist ein Skandal. Das sind doch allgemeine gesellschaftliche Fragen wie Wirtschaftspolitik und Finanzen. Bezeichnet man die als Frauenpolitik, werden sie sofort unwichtig und interessieren nur noch wenige, alle anderen können schon mal essen gehen oder etwas Wichtigeres tun. Die LINKE sollte das nicht mitmachen. Es ist vieles zu tun, für das es feministisches Engagement und entsprechende Kompetenzen braucht, Räume und Zeiten. Das Wesentliche ist es, diese Übersetzungsarbeit zu leisten, die Fragen von Frauen also als allgemeine Menschheitsfragen zu stellen.
. . die ins Programm gehören?
Sie gehören zur Politik für das Leben der Menschen und für die nächste Generation wie Wirtschafts- und Umweltpolitik, Städtebau, Gesundheitswesen oder die Friedensfrage. Und die LINKE sollte sich nicht länger auf einen Arbeitsbegriff stützen, der nur die Lohnarbeit meint. Ich halte es für einen Skandal, wenn lebenserhaltende und lebensentwickelnde Tätigkeiten, also Fürsorge, Reproduktion nicht ebenfalls dazu zählen. Einige der WASG-Genossen, die gewerkschaftlich orientiert sind, befürchten eine Auflösung des Klassenbegriffs und den Verlust des antikapitalistischen Impulses, wenn als Arbeit Tätigkeiten auch außerhalb der Lohnarbeit gefasst werden. Ich aber halte das für unverzichtbar. Es gibt ja auch noch die politische Arbeit, die alle machen sollten. Es ist in dieser krisengeschüttelten Gesellschaft offensichtlich, dass alle sich politisch einmischen müssen, sonst wird ihnen das Fell über die Ohren gezogen. Wenn man dann noch Marx und Engels folgend berücksichtigt, dass »die Entwicklung eines jeden Voraussetzung der Entwicklung aller« sein können muss und also auch Zeit dafür nötig ist, hat man die vier Bestandteile gesellschaftlich notwendiger Tätigkeiten, die wir Arbeit nennen können: Erwerbsarbeit, Reproduktionsarbeit, eigene Entwicklung und Politik. Lohnarbeit nur einen Bruchteil davon ab.
Das ist die Vier-in-einem-Perspektive, die ich als reale Utopie in die LINKE bringen wollte. Da stoße ich auf den Widerstand derer, die sagen, wir können uns jetzt nur um Lohnarbeit kümmern, alles andere kommt später. Das aber ist kleinkariert. Man schämt sich ein bisschen, in dieser Partei zu sein, denn dass alles andere auch Arbeiten sind, hat sich praktisch weltweit rumgesprochen. Die LINKE ist eine der letzten Bastionen im gesellschaftspolitischen Feld, in denen nur Lohnarbeit als Arbeit zählt.
Bereuen Sie den Schritt in die LINKE, weil Sie sich im Programmentwurf nicht wiederfinden?
Offensichtlich ist die Arbeit viel schwerer als ich gedacht hatte. Ich hatte angenommen, wenn ich das sorgfältig auseinanderlege und dann auch noch so spreche, dass auch die Lidl-Verkäuferin mich versteht, werden es auch alle erleichtert durchsetzen wollen. Das ist offenbar nicht der Fall. Ich habe nicht genügend darüber nachgedacht, dass die involvierten Männer es gar nicht so einfach unterstützen können, weil sie sich selbst dabei verändern müssen. Ich unterschätzte auch, dass die politischen Strukturen nicht alle Frauen auf die Frauenseite bringen, sondern ebenfalls in den alten Strukturen belassen. Aber ich bereue nicht, ich arbeite umso stärker daran.
Wie machen Sie weiter?
Zunächst geht es weiter darum, wie die Vier-in-einem Perspektive ein Projekt für die LINKE werden kann. Ich habe mit anderen Frauen zusammen eine Präambel geschrieben, die auf unseren Vorstellungen von Arbeit beruht und vor das Programm gestellt werden sollte – in der Annahme, dass die Herangehensweise, von der Arbeit und ihrer Teilung auszugehen und nicht von der Gleichstellung der Geschlechter in einer schlecht geordneten Gesellschaft, Zustimmung finden wird. Wir beginnen, Marx folgend, mit den vier großen Arbeitsteilungen: die Teilung in Frauen- und Männerarbeit, in solche in der Stadt und auf dem Land, in »Arbeit«, die nur von anderer Hände Arbeit lebt und in die Teilung in Kopf- und Handarbeit, eine Abgrenzung, die das Ganze herrschaftlich untermauert. In diesen grundlegenden Beziehungen sind die Geschlechterverhältnisse immer enthalten.
Wer sind Ihre Verbündeten?
Beim Erarbeiten waren wir etwa 20 Frauen, Funktionärinnen aus Vorstand, Fraktion und Landesverbänden. Danach kamen im ganzen Land Diskussionen und Veranstaltungen. Zu den Unterstützern gehören jetzt viele Gruppen, ganze Landesverbände, sowie die letzte Bundesfrauenkonferenz. 150 Einzelpersonen haben den Antrag an die Programmkommission unterzeichnet. Aber zusammen sind das sicher viele Hundert.
In der Kommission, die Änderungsvorschläge für den Programmparteitag bearbeitet, war von vier Mitgliedern nur Katja Kipping, die an der Präambel mitgearbeitet hat, dafür?
Es war wahrscheinlich ein bisschen tollkühn zu glauben, man kriegt das durch. Dabei ist die Ablehnung nicht unbedingt repräsentativ für die Gesamtpartei. Aus dem sächsischen Landesverband heißt es, dass alle dafür sind, auf dem Parteitag in NRW waren es fast die Hälfte. Wir wollen jetzt auf dem Erfurter Parteitag versuchen, die Präambel wenigstens als Nachtrag ins Programm zu bekommen.
Dann wäre sie von vorn nach hinten gerutscht?
Es ist ein Kompromissvorschlag. Wir hoffen, dass er angenommen wird. Einige kleinere Änderungsvorschläge werden vermutlich auch durchkommen, aber es braucht einen zusammenhängenden Text, sonst bleibt es bei einem Flickwerk, das nicht ermutigend für feministisches Eingreifen ist. Die Frauen in unserer Gruppe und viele Delegierte hoffen, dass auf dem Parteitag über diese Anträge und Feminismus im Programm wirklich diskutiert wird. Sie sagen, wir haben so prima Argumente, die kann man verstehen. Ich glaube nicht, dass der Parteitag ein Ort ist, wo die Zeit für wirkliche Diskussion reicht. Wichtig ist eher, wie viele Delegierte man im Vorfeld für diese Ideen gewinnt.
Was kommt nach dem Parteitag?
Wir überlegen mit anderen zusammen, eine Strategiediskussion zu führen. Was der LINKEN fehlt, ist aus meiner Sicht ein eigenes Projekt, wozu ich die Vier-in-einem-Perspektive vorgeschlagen habe. Andere haben etwas andere Perspektiven, aber auf jeden Fall brauchen wir irgendetwas Erkennbares, wofür es sich lohnt, in dieser Partei zu kämpfen. Und dann arbeiten wir nicht mehr am Programm, sondern verstärkt an der Perspektive dieser Partei. Sie braucht eine, sonst wird sie zerkrümelt werden, schon deswegen, weil sich die Schwarz-Grünen derartig blamiert haben, dass die SPD in der Opposition sich etwas nach links bewegt hat. In dem Maße, in dem die SPD das tut, wird man schnell sehen, dass die LINKE kein wirklich eigenes Profil hat. Unsere Präambel heißt »Kämpfe um Zeit«.
Worum geht es darin?
Es geht um die Wiederaneignung der entfremdeten Zeit, worin die Lohnarbeit und ihre gerechte Verteilung natürlich einen strategischen Platz einnimmt. Das würde ein Alleinstellungsmerkmal der LINKEN sein und man könnte praktisch alle Politik darauf zuspitzen. Marx hat gesagt: »Ökonomie der Zeit, darin löst sich schließlich alle Ökonomie auf«. Das kann man verstehen, sowohl im Großen der Gesellschaft, als auch im individuellen Leben. Es braucht der Mensch Zeit, um sich zu entwickeln und lernen zu können. Die Zeit, die er im Erwerbsarbeitsprozess verbringt, sollte anspruchsvoll gelebt werden, es ist Lebenszeit. Jetzt werden viele Menschen dort einfach vernutzt wie Maschinen und später zum alten Eisen befördert. Verlieren sie ihren Arbeitsplatz, bekommen sie keine freie Zeit, sondern eine riesige Bürokratie ist damit befasst, die frei gewordene Zeit mit Beschäftigungsprogrammen und Anträgen auszufüllen. Die sogenannte Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist ein einziger Stress, besonders für die Frauen. Sich politisch zu engagieren und sich zu erlauben, eigene schöpferische Fähigkeiten zu entfalten, werden bloßer Luxus. Kämpfe um Zeit als Politik setzt an den Alltagserfahrungen an. Das muss doch ein Thema für die LINKE sein.
Und die Vision ist dann die 20-Stundenwoche?
Nicht allein, sie ist ein Element davon. Die 20-Stundenwoche gehört in die Vision von einem Menschen hinein, der sein Leben in die Hand nehmen kann. Er kann sich künstlerisch betätigen oder tanzen oder Märchen erzählen, in die Politik eingreifen, fürsorglich tätig und dabei erwerbstätig sein. Ich sehe die 20-Stundenwoche nicht als Einzelziel. Da denke ich wie Rosa Luxemburg: »Jedes für sich allein gesprochen wird reaktionär auf Dauer«. Verknüpft mit den anderen drei Zielen wird es eine völlig andere Politik.
Dann wird man nämlich nicht nur streiten müssen, ob und wie man den Lohnausgleich für die 20-Stundenwoche hinbekommt, sondern davon ausgehen, dass man diese radikale Verkürzung der Erwerbsarbeit für die Entwicklung der Möglichkeiten braucht, die in einem Menschen schlummern. Setzen wir, wie in bisheriger Frauenpolitik angelegt, allein auf fürsorgende Arbeit, bekommen wir diese Mütterpolitik, die Christa Müller uns vorschlug, und die Frauen ans Kreuz der Geschichte nagelt. Und im Übrigen behält man auf ewig Frauen als Unterpfand für eine Stellvertreterpolitik. Damit werden Frauen passiv gehalten, statt alle Bürger in die Lage zu versetzen, politisch eingreifen zu können. Gesonderte Frauenpolitik bringt die LINKE ebenso wenig weiter wie die Frauen selbst.
Vor der Bundesfrauenkonferenz am kommenden Wochenende in Magdeburg und dem Programmparteitag in Erfurt wird in der Linkspartei über die Frauenpolitik und die feministischen Ansätze im Programm debattiert. Eine Gruppe von Feministinnen scheiterte mit dem radikalen Antrag, dem Programm eine Präambel voranzustellen. Darin geht es vor allem um die Arbeit, deren Verständnis sich den Verfasserinnen zufolge nicht auf Erwerbsarbeit reduzieren darf, sondern auch eigene Entwicklung, Erziehung, Hausarbeit, Kinderbetreuung, Pflege und Politik umfassen sollte. Mit der Wissenschaftlerin und Präambel-Autorin Frigga Haug sprach Silvia Ottow über die Frauenpolitik in der Linkspartei. Die streitbare 73-jährige Publizistin ist seit vier Jahren Parteimitglied, arbeitet in den wissenschaftlichen Beiräten von Attac und Rosa-Luxemburg-Stiftung, im Kuratorium des Instituts für Solidarische Moderne sowie im Schriftstellerverband. Sie ist Vorsitzende des Berliner Instituts für kritische Theorie.
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