Fränkische Eier auf pfeifende Loks

Neubetrieb einer Bahnstrecke bringt Bürger auf

  • Manfred Präcklein, dpa
  • Lesedauer: 3 Min.
Landauf landab gibt es Hunderte von ungesicherten Bahnübergängen. An jedem einzelnen müssen die Lokführer ein Warnsignal ertönen lassen. Doch nicht überall stößt der durchdringende Ton auf Verständnis. Im oberfränkischen Weidenberg drohen Anwohner sogar mit Mistgabeln.

Bayreuth/Weidenberg. Johannes Dentsch kann auch in den Schulferien nicht ausschlafen. Pünktlich um 20 Minuten vor sechs Uhr fährt der erste Zug pfeifend direkt am Haus seiner Eltern vorbei. »Und wenn man doch wieder einschläft, kommt schon der nächste Zug, dann ist die Nacht endgültig gelaufen.« Wie dem 17-Jährigen geht es vielen Anwohnern der Bahnlinie Bayreuth-Weidenberg. Als sein Vater Rolf sein Haus vor 14 Jahren in Görschnitz direkt neben den Gleisen baute, fuhr kein Zug mehr auf der Ende des 19. Jahrhunderts errichteten Nebenbahn ins Fichtelgebirge.

Fast leere Züge

»Niemand hat damals damit gerechnet, dass die Strecke wiederbelebt wird.« Im Vertrauen auf die endgültige Stilllegung sind damals auch Michaela und Holger Kahler aus einer lauten Einfallstraße in Bayreuth in den beschaulichen kleinen Ortsteil der Gemeinde Weidenberg gezogen. Zehn Jahre herrschte idyllische Ruhe im Tal der Warmen Steinach. Dann wurde die Strecke saniert. Von Januar 2007 an bis zum Frühjahr fuhren unter der Woche 14 Züge pro Tag. Doch wenigstens am Wochenende herrschte Betriebsruhe – zunächst.

»Das ständige Pfeifen der Züge konnte einen wahnsinnig machen«, klagt das Ehepaar Kahler. Doch für die Klagen der Anwohner über den durchdringenden Lärm interessierte sich niemand. »Stattdessen wurde dem Ganzen die Krone aufgesetzt, denn seit Mitte Juni gilt ein neuer Fahrplan.« Jetzt fahren die Züge im Stundentakt – und zwar auch an Sonn- und Feiertagen und den Wochenenden. »Mittlerweile fährt der Zug über 30 mal am Tag fast leer an unserem Haus vorbei, begleitet von einem ohrenbetäubenden Lärm.«

Grund für das Pfeifen sind die vielen ungesicherten Bahnübergänge an der Strecke. Allein auf dem zwei Kilometer langen Abschnitt zwischen Görschnitz und dem Nachbarort Untersteinach stehen zehn Schilder mit einem schwarzen P auf weißem Grund. Sie signalisieren den Lokführern, ihr Signalhorn zu betätigen, um andere Verkehrsteilnehmer zu warnen.

Drei Sekunden sind Pflicht

»Wir wurden von den Anwohnern schon mit Mistgabeln bedroht und mit Eiern beworfen«, berichten Lokführer. Dabei erfüllen sie nur ihre Pflicht. Vorschrift sind drei Sekunden. Das heißt angesichts der Häufigkeit von Bahnübergängen an manchen Abschnitten praktisch Dauerton. »Die meisten von uns nehmen schon große Rücksicht und drücken nur kurz auf die Signaltaste im Führerstand.«

Auch die Lokführer haben Verständnis für die Klagen. »Wenn man die Übergänge schließen oder durch Schranken oder Blinklichtanlagen ersetzen würde, müssten wir nicht mehr pfeifen«, sagen die Bediensteten der Privatbahn agilis. Doch das kostet eine Menge Geld, rund 170 000 Euro für eine Blinklichtanlage. Nach dem Eisenbahnkreuzungsgesetz müssten sich der Streckeneigentümer, in diesem Falle die Deutsche Regionaleisenbahn DRE, die Kommune als Straßenbaulastträger sowie der Bund die Kosten teilen.

Die Gemeinde Weidenberg und Bayreuths Landrat Hermann Hübner suchen mittlerweile nach Lösungen, wie das Hupen in dem engen Tal reduziert werden kann. Im Oktober sollen sie auf einer Bürgerversammlung vorgestellt werden. Den genervten Anwohnern dauert das Verfahren zu lange. Auch die meisten Lokführer würden das Pfeifen am liebsten unterlassen: »Doch wenn etwas passiert, sind wir dran.«

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