»Bodenloser« EU-Umgang mit Flüchtlingen
Amnesty International fordert zu schnellen Hilfeleistungen für die Betroffenen des Konflikts in Libyen auf
London/Tripolis (AFP/dpa/ND). Derzeit befänden sich etwa 5000 Flüchtlinge vornehmlich aus Schwarzafrika an den Grenzen Libyens zu Tunesien und Ägypten, heißt es in einem Bericht der Organisation, der am Dienstag veröffentlicht wurde. Die Reaktion der EU auf das Elend der Menschen, die vor den Kämpfen in Libyen geflohen seien, sei »bodenlos«, sagte Nicolas Beger, Leiter des Europa-Büros von Amnesty. Er forderte die EU-Staaten dringend auf, Libyen-Flüchtlinge aufzunehmen, deren Lage sich immer weiter verschlechtere. So sei die Situation am ägyptischen Grenzübergang Salum »trostlos«, erklärte die Organisation. Die Menschen müssten in der Wüstengegend in improvisierten Zelten schlafen, die aus Decken und Plastikplanen bestünden.
Bisher haben sich laut Amnesty acht europäische Staaten bereit erklärt, Libyen-Flüchtlinge aufzunehmen. Die insgesamt 700 angebotenen Plätze reichten aber nicht aus. Das Verhalten der EU-Staaten sei umso unverständlicher als mehrere europäische Staaten sich an der NATO-Mission in Libyen beteiligten, sagte Beger. Sie seien damit Teil des Konflikts und mit Grund, dass die Menschen gezwungen gewesen seien, aus dem Land zu fliehen.
Am Sitz der Vereinten Nationen in Genf weht seit Dienstag die Flagge des libyschen Nationalen Übergangsrates. Im Beisein des libyschen UN-Botschafters Ibrahim Aldredi wurde die grün-schwarz-rote Fahne gehisst. Die Generalversammlung der UNO hatte den Übergangsrat vergangenen Freitag offiziell als Vertreter Libyens anerkannt. Die neue Flagge sei auf Anfrage der libyschen Behörde gehisst worden, sagte UN-Sprecherin Corinne Momal-Vanian. UN-Botschafter bleibt Aldredi: Als ehemaliger Vertreter des alten Regimes hatte er im Februar dem langjährigen Staatschef Muammar al-Gaddafi die Treue aufgekündigt.
Unterdessen hat sich der gestürzte libysche Machthaber Gaddafi zu den Ereignissen in seinem Land geäußert. »Das, was in Libyen geschieht, ist ein Affentheater, das nur auf die Luftangriffe zurückzuführen ist, die nicht ewig anhalten werden«, sagte Gaddafi in einer am Dienstag vom in Syrien ansässigen Fernsehsender Arrai ausgestrahlten Audiobotschaft. Das libysche Volk forderte er auf, nicht an einen Regierungswechsel zu glauben. »Freut euch nicht und glaubt nicht, dass ein Regime gestürzt wurde und ein anderes mit Hilfe von Angriffen aus der Luft und von der See eingesetzt wurde«, erklärte Gaddafi.
Von Gaddafi fehlt seit der Eroberung der Hauptstadt Tripolis durch die Rebellen am 23. August jede Spur. Es gibt Vermutungen, dass er sich nach wie vor in Libyen versteckt hält. Mitglieder seiner Familie waren nach der Einnahme von Tripolis nach Algerien und Niger geflohen.
Kämpfer des Übergangsrates in Libyen haben derweil einen General Gaddafis gefangen genommen. General Belgacem al-Abaadsch, Gaddafis Geheimdienstchef in der Region El Chofra, sei am Montag rund hundert Kilometer von der südlibyschen Stadt Sebha entfernt gefasst worden, sagte Mohammed Wardugu, Sprecher der »Wüstenschildbrigade« in Bengasi am Dienstag der Nachrichtenagentur AFP. »Dieser General hat viele Verbrechen in El Chofra begangen«, erklärte er. Abaadsch war den Angaben zufolge bei einem Angriff auf Sebha mit Familienangehörigen geflohen. Kämpfer der neuen libyschen Führung seien inzwischen in die Stadt eingedrungen und hätten die Kontrolle über den Flughafen und die Garnison übernommen, sagte Wardugu.
Die libyschen Rebellen wollen Sirte, die Heimatstadt Gaddafis, binnen einer Woche einnehmen. Das sagte der Rebellensprecher Mohammed Ibrahim am Dienstag der Nachrichtenagentur dpa.
Kommentar Seite 8
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.