Wegelagerei in Sachsen-Anhalt
Spart eine Kommune Geld ein, werden ihr prompt Zuschüsse gekürzt – Magdeburg rebelliert
Im finsteren Mittelalter gab es eine unlautere, aber scheinbar mühelose Methode des Geldverdienens. Ihre Verfechter harrten im Schutz von Gehölzen an Handelswegen und erleichterten Passanten um die Früchte harter Arbeit, wobei sie den Forderungen mit Verweis auf Messer oder Pistolen Nachdruck verliehen. Das Vorgehen war als »Wegelagerei« bekannt.
Klaus Zimmermann, der CDU-Finanzbürgermeister von Magdeburg, fühlt sich an diese Methode erinnert, wenn er Prinzipien des Finanzausgleichs zwischen dem Land Sachsen-Anhalt und seinen Kommunen betrachtet. Städte und Gemeinden würden, klagt er, für hartes Sparen auf fragwürdige Weise »belohnt«: Behalten sie Geld übrig, gibt es weniger Zuweisungen vom Land. »Die Überschüsse werden vom Land einkassiert. Das bezeichne ich eindeutig als Wegelagerei.« Sein Chef, SPD-Oberbürgermeister Lutz Trümper, sieht das ähnlich. Er zofft sich wegen der Sache seit Wochen mit seinem Parteifreund, dem Landesfinanzminister Jens Bullerjahn. Nun hat sich der Stadtrat in seltener Einmütigkeit hinter den OB gestellt. Der Rat bemängelte, dass sich »das Land sämtliche Konsolidierungserfolge der Landeshauptstadt (…) vollständig aneignet«, und beschloss einstimmig, Auflagen der Kommunalaufsicht für die Genehmigung des städtischen Haushalt 2011 so lange zu ignorieren, bis die Regelung geändert wird.
180 Millionen Schulden
Die Stadträte fragen sich, warum sie sich mühen sollen, bei Sport, Kultur oder Straßenbau nach Sparmöglichkeiten zu suchen. Eigentlich will die Stadt mit dem eingesparten Geld ihre Schulden von 180 Millionen Euro schrittweise abtragen. Die Kommunalaufsicht fordert, das bis 2015 zu erledigen. Doch nachdem Magdburg sich 25 Millionen Euro vom Mund abgespart hatte, kürzt das Land die Zuschüsse: Die Stadt soll auf zehn Millionen Euro verzichten.
Es ergäben sich, so der Ratsbeschluss, »fatale Anreizwirkungen, die nicht im Interesse des Landes liegen können«. Um darauf aufmerksam zu machen, hat der Stadtrat nun faktisch beschlossen, bei weiteren Sparaufforderungen auf stur zu schalten – ein Paukenschlag. Wie das Finanzministerium reagiert, wird im Land aufmerksam registriert werden. Zwar scheuen andere Kommunen den offenen Konflikt. Klagen über das Finanzausgleichsgesetz (FAG) aber gibt es viele. Der Städte- und Gemeindetag wirft Bullerjahn vor, den Landesetat auf Kosten der Kommunen zu sanieren. Diese hätten schon in den beiden Vorjahren 300 Millionen Euro zu wenig erhalten und sollten 2012 auf weitere 120 Millionen verzichten. Auch der Rechnungshof hält die Summe von 1,5 Milliarden Euro, die das Land den Kommunen überweisen will, für zu niedrig. Neben diesen allgemeinen Klagen muss sich Bullerjahn vor allem Schelte wegen der Regelung anhören, wonach Überschüsse in den Kommunen sinkende Zuschüsse des Landes nach sich ziehen. So würden »Kommunen um die Früchte ihrer eigenen Konsolidierungsbemühungen gebracht«, rügte der Städte- und Gemeindetag vor Wochen.
FAG-Entwurf der LINKEN
Der Minister räumte ein, es handle sich um »einen Fehler«. Eine kurzfristige Korrektur aber ist offenbar nicht möglich. Das Finanzministerium verwies jetzt zunächst auf ein Gutachten, das bis Anfang 2012 vorliegen soll, und stellte eine FAG-Novelle für 2014 in Aussicht. Die LINKE kündigte derweil als »erste Sofortmaßnahme« für Oktober einen Entwurf für ein FAG an, der »die berechtigten Forderungen der kommunalen Familie aufnimmt und versucht, die derzeitige Regelung zu korrigieren«, wie der Abgeordnete Gerald Grünert sagt. Die Kritik aus Magdeburg, fügt er hinzu, sei »berechtigt und in der Sache unstrittig«.
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