Menschenwürde, Bürgerrechte, Datenschutz
Die Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union feierte ihr 50-jähriges Bestehen
Am Samstag beging die Humanistische Union (HU) ihr Jubiläum mit einem Festakt in der Akademie der Künste. Die HU nutzte diesen Anlass, um einen Dokumentationsband ihrer Arbeit und ein Filmprojekt vorzustellen, die Piratenpartei, um am Mutterschiff HU anzudocken, während Susanne Baer, Richterin des Bundesverfassungsgerichts und die Publizistin Daniela Dahn die Veranstaltung mit Kritik garnierten.
»Der Fall Modrow« heißt der Film, der die Gerichtsverfahren gegen Hans Modrow zur Wahlfälschung in der DDR beleuchtet und der Frage nachgeht, inwieweit Strafrecht zur gesellschaftshistorischen Aufklärung beitragen kann.
Die Vorsitzende der HU, Prof. Dr. Rosemarie Will, die diesen Film drehte, fand ihren Weg zur Organisation über ihre Mitwirkung an den Runden Tischen der Wendezeit und teilt damit ein Stück ihrer Biografie mit Daniela Dahn. Mit Susanne Baer teilt sie die Tätigkeit als Professorin an der juristischen Fakultät der Berliner Humboldt-Universität.
Die 1961 in München gegründete Bürgerrechtsorganisation blickt auf eine bewegte Geschichte zurück, die während der 68er-Bewegung an Bedeutung gewann. Auch im sogenannten deutschen Herbst Ende der 70er Jahre lief die HU zur Hochform auf, als im Kampf gegen den Terrorismus der RAF die Bürgerrechte bedroht waren. Es sind die schwierigen Zeiten, die der HU Mitgliederzuwachs und Aufmerksamkeit beschert haben und weiterhin bescheren, so auch infolge der Anschläge vom 11. September 2001, als erneut Bürgerrechte der Terrorismusbekämpfung geopfert wurden.
Hingegen waren die Zeiten dazwischen für die HU schwierig und geprägt von Mitgliederschwund, unter anderem verursacht durch das Wegsterben der Gründergeneration. Aktuell beläuft sich die Mitgliederzahl auf rund 1600. »Immer wenn der damalige Innenminister Schäuble am Repressionshahn drehte«, seien es mehr geworden, beschreibt Will im Gespräch mit ND eine Ursache für den Zuwachs der vergangenen Jahre. Aber als Konzept gegen die drohende Überalterung ist das alleine nicht hinreichend. Ein »sympathisches Fossil« nennt Will die Humanistische Union und beschreibt damit ein konserviertes Traditionsbewusstsein, das auf dem Festakt auch durch die von Volksweisen geprägten Musikeinlagen manifestiert wurde. Es gehört somit zu den Herausforderungen der Organisation, neue Themen zu finden, ihre bisherigen Themen so zu adressieren, dass neue, insbesondere jüngere Mitglieder gewonnen werden und die Zusammenarbeit mit Bürgerbewegungen intensiviert wird.
Eine Kooperation soll zukünftig mit der Stiftung BRIDGE, Bürgerrechte in der digitalen Gesellschaft, zustande kommen und ist bereits durch die Kooperation mit dem Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung erfolgt, mit dem die HU die jährliche Demonstration »Freiheit statt Angst« organisiert. Beide Kooperationen verweisen auf die Probleme im Umgang mit den Folgen der weltweiten Digitalisierung – womit für die HU ein neuer Themenkomplex gegeben ist, der sich gleichzeitig mit einem alten Thema der HU, dem Datenschutz, verknüpfen lässt.
»Ganz klar angetreten sind wir mehrheitlich als Sozis, dann sind wir sehr grün geworden und werden jetzt netzaffin«, beschreibt Will die Entwicklung. Dass dieser Weg nicht ganz falsch ist, belegt der Mitgliederzuwachs nach der Neugestaltung des Internetauftritts im Jahr 2006.
Die digitalen weltumspannenden Datennetze stellen die HU mit ihrer nationalen Ausrichtung aber auch vor neue Probleme: Eine nationale Lösung ist oftmals nicht ausreichend. Während Will diese Ausrichtung damit begründete, dass Bürgerrechtsthemen national verhandelt werden und daher der Ausgangspunkt für die HU der Nationalstaat bleibe, kritisierte Baer in der Diskussionsrunde diesen Ansatz und betrachtet eine Internationalisierung als zwingend. Die Argumentation müsse global sein, während die Aktion lokal bleiben dürfe, ergänzte sie. »Auch die Agenda der Humanistischen Union hat noch Luft«, betonte Baer. »Ökonomische Ausgrenzung und Prekarisierung sind zentrale Zukunftsthemen, die auf der Agenda der HU fehlen.«
Im Umgang mit Bürgerbewegungen, die eine thematische Schnittmenge mit der HU aufweisen, entwickeln sich auch mal kreative Verfahren. »Wir versuchen, sie zu unterwandern und dann bei uns sesshaft zu machen«, beschreibt Will diesen Ansatz im Gespräch. Das führt zu unerwarteten Resultaten: Der Bundesvorsitzende der Piratenpartei bezeichnete in seinem Grußwort die HU als einen Vorläufer der Piraten und erntete im Publikum dafür Gelächter. Ahoi HU!
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.