FDP entdeckt Piraten in sich

Nach diversen Wahldebakeln sucht die Parteiführung fieberhaft nach neuen Ufern

  • Uwe Kalbe und René Heilig
  • Lesedauer: 5 Min.
Wenige Tage vor der Abstimmung über den erweiterten Euro-Rettungsschirm schworen die Spitzen von Union und FDP ihr Gefolge auf Zustimmung ein. FDP-Chef Philipp Rösler sieht die schwarz-gelbe Mehrheit nicht in Gefahr und ist der Union dankbar, dass die weiter so tut, als wären die Freien Demokraten ein vollwertiger Koalitionspartner.

Was immer die schwarzen und die gelben Parteichefs am Wochenende in Mikrofone sprachen – die Woche beginnt für die Koalition so unsicher, wie die alte geendet hat. Am Donnerstag steht die Abstimmung über den Rettungsschirm ESFS auf der Tagesordnung des Bundestages. Auch wenn die Mehrheiten dafür nicht in Frage stehen, weil SPD und Grüne ihre Zustimmung signalisiert haben, kann von einem schwarz-gelben Konsens keine Rede sein. Grund ist – nicht nur, aber in erster Linie – die FDP.

Die Forschungsgruppe Wahlen hat Ende der vergangenen Woche herausgefunden, dass 73 Prozent der repräsentativ Befragten nicht glauben, dass die FDP in absehbarer Zeit ihre Krise überwindet. 48 Prozent glauben gar, dass die Partei nicht mehr gebraucht wird. Doch das kann einen Philipp Rösler nicht erschüttern: Der FDP-Chef, Vizekanzler und Wirtschaftsminister schloss im großen Sonntags-Interview des Deutschlandfunks eine Aufkündigung der schwarz-gelben Regierungskoalition kategorisch aus. Und damit jedermann begreift, was er meint, betonte er in Verkennung von Realitäten, dass seine Beziehung zur Kanzlerin Angela Merkel weit über das Politische hinaus gut ist.

Die Koalition sei mit großer Mehrheit in die Verantwortung gewählt worden und die FDP laufe nicht vor Verantwortung weg, sagte Rösler, und verdeutlichte auf nicht sehr überzeugende Weise, was es heißt, der Verantwortung gerecht zu werden. Man müsse »jetzt fleißig, solide und seriös« arbeiten. Da fragt man sich doch: Warum hat die FDP das bisher nicht getan?

Es braucht offenbar neue Ideen, das heißt liberale Ideengeber. Entwicklungsminister Dirk Niebel gehört wohl nicht dazu, hat aber trotzdem eine Idee. Er empfahl den Seinen, sich an der erfolgreichen Piratenpartei zu orientieren. »Die Freiheit des Individuums stand im Zentrum der Kampagne der Piraten«, wusste Niebel dem »Hamburger Abendblatt« mitzuteilen: »Außerdem müssen wir uns den Politikstil der Piraten anschauen. Ein gewisses Maß an Spontaneität kann hilfreich sein.«

Das lässt das »Projekt 18« und das »Guidomobil« auftauchen. Niebel glaubt sich zu erinnern, »die Menschen vor der Bundestagswahl 2002 mit Spontaneität und Lebensfreude angesprochen (zu) haben. Wir müssen zeigen, dass Politik auch Spaß machen kann.« Der Spaßmacher ist – wie sein Parteichef – der Auffassung, dass die FDP keine »euroskeptische Partei« ist und es einen Wahlkampf wie den letzten in Berlin, der Euroskepsis herausgestellt hatte, nicht noch einmal geben dürfe.

Doch nicht diese Line allein sei schuld am Debakel der FDP, analysiert Rösler. Die FDP habe mit dem Satz »Mehr Netto vom Brutto« hohe Erwartungen in der Mitte der Gesellschaft geweckt, die sie nicht »vollumfänglich« erfüllen konnte. Doch, so der an Lebens- wie Mitgliedsjahren junge Parteichef weiter: Die FDP habe mehr Botschaften. Er nannte die Forderung nach einer vernünftigen Bildungssituation, sicheren Arbeitsplätzen und einer stabilen Währung. Diese Forderungen müsse die Partei erfüllen, um wieder die Akzeptanz zu bekommen, die sie sich wünsche.

Aber so einig wie es scheint, ziehen die FDP-Spitzen den Parteikarren nicht aus dem Dreck. Kein Einsehen hat weiterhin der inzwischen als Rebell geltende Abgeordnete Frank Schäffler. Auch wenn er inzwischen darauf verzichtet, die Anzahl der Unterstützer im Internet regelmäßig zu aktualisieren – es wird von einem Maulkorb der Parteioberen gemunkelt – sammelt er weiter Unterschriften für einen Mitgliederentscheid seiner Partei. Der von Schäffler in einem Brief an die Parteibasis verkündete Stand lag laut »Handelsblatt« bei über 3000 Unterschriften, da fehlten noch rund 200 Stimmen am nötigen Quorum von fünf Prozent, das nötig ist, um eine Abstimmung der Mitglieder herbeizuführen. Schäffler erklärt landauf, landab, dass er Rettungsschirme für in den Schuldennotstand geratende EU-Mitgliedsstaaten, also etwa die Hilfen für Griechenland und den ESFS-Rettungsschirm der EU, für verhängnisvoll hält. Er ist für eine geordnete Insolvenz von Staaten, die pleite sind, wie er auch die Insolvenz von Pleitebanken unterstützt.

Dass Rösler jüngst gleiche Überlegungen artikulierte, ist vergessen. Scheffler eckt nun damit bei der Parteispitze an, die rasch mal wieder – das scheint zu einem Markenzeichen zu werden – den Kurs gewechselt hat. Und was Schäfflers Idee vom Mitgliederentscheid gegen den dauerhaften Euro-Rettungsschirm betrifft: Rösler räumt dem keine Chancen ein. »Die Euro-Rebellen werden sich nicht durchsetzen.«

Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, dass die FDP eine im Bundesgebiet verankerte Partei ist. Das war sie nie und ist es derzeit schon gar nicht. Die Liberalen schnitten denkbar schlecht ab bei den vergangenen fünf Landtagswahlen. In Berlin wurde sie gerade noch von 27 000 Wählern gemocht. Im gesamten Superwahljahr 2011 kam die FDP nur in zwei Fällen über die Fünf-Prozent-Hürde: Lediglich bei den Wahlen in Hamburg (6,7 Prozent) und in Baden-Württemberg (5,3 Prozent) sind die Liberalen in den Landesparlamenten vertreten.

Die oft zu Unrecht wahrgenommene Stärke der FDP resultiert aus ihrer bundespolitischen Rolle. Man erinnert sich an Walter Scheel, natürlich an Hans-Dietrich Genscher und Klaus Kinkel. Die FDP-Größen vertraten die Bundesrepublik als Außenminister. Fast ein Vierteljahrhundert lang. Das Amt war bedeutsam, denn da wurden Leitlinien der internationalen Entspannungs- und der deutsch-deutschen Vereinigungspolitik gezeichnet. Guido Westerwelle konnte als Außenminister nichts Bedeutsames hinzufügen. Und dass ihn seine Parteikollegen tatkräftig unterstützen, kann man ja nun wirklich nicht behaupten. Im Gegenteil. Die nun amtierende FDP-Boygroup demontierte ihn mit Lust und auch Laune.

Die aktuelle FDP-Führung müsste sich – um als politische Kraft eine Nische im politischen Gefüge zu finden – auf liberale Urgründe besinnen. Doch das ist kaum zu erwarten. Sie ist ja nicht einmal in der Lage, den Kampf ihrer Justizministerin – Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ist eine der letzten Liberalen in der FDP – gegen die von der Union und auch der SPD beförderte Verschärfung der Anti-Terror-Gesetze und die Vorratsdatenspeicherung zu unterstützen. Auch wirtschaftspolitisch müsste die FDP wieder zu ihren Traditionen aufschließen. Was bedeutet, sie muss sich von ihrer Klientelpolitik für Hoteliers und Mediziner trennen.

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