Behauptetes Schlaraffenland
Kommunalisierung von Schulen verführt zum Bildungs- und Sozialabbau
Alle Jahre wieder erfinden Regierungen und die sie beratenden Think Tanks neue »Bildungszauber«. Da wird uns dann beispielsweise versprochen, mittels des Konzepts der »Selbstständigen Schule« würde endlich alles besser: Unsere Kinder erhielten endlich wirklich guten Unterricht, die soziale Segregation nähme ab, die soziale Selektivität des Bildungssystems würde überwunden. Doch schaut man sich die verhandelten Vorstellungen und Konzepte genauer an, stellt sich heraus, dass mit der Rede von vermeintlicher Selbstständigkeit ganz explizit kein Mehr an pädagogischer Freiheit oder demokratischer Kontrolle gemeint ist, sondern Selbstständigkeit als Synonym für »Nach den Regeln des Marktes funktionierend« verwandt wird. Fortan sollen nicht mehr gewählte Regierungen, sondern die anonymen Kräfte des Marktes die Geschicke der Bildung und der im Bildungssystem Agierenden lenken und gestalten.
Hierbei spielt auch der Diskurs über die Kommunalisierung von Schulen, also die Übertragung der Zuständigkeit für Lehrerarbeitsverhältnisse sowie der Definitionsgewalt über Bildungsinhalte an die Kommunen, eine Rolle. Diese werden zu pädagogischen Alleskönner verklärt, in deren Händen schließlich, egal, unter welchen Rahmenbedingungen und Voraussetzungen, alles gut wird.
Wenn die Kommunen die Alleskönner wären, warum ist dann zu beobachten, dass das, was man sie schon jetzt tun lässt, immer schlechter getan wird? Wenn in kommunaler Verantwortung Inklusion gelänge, sozialer Zusammenhalt verstärkt und soziale Selektion überwunden werden könnte – warum errichten die Kommunen dann nicht bereits hier und heute barrierefreie, moderne Schulen, modernisieren bestehende Gebäude, stellen Hausmeister und Sozialarbeiter ein, bauen Computerpools aus, errichten Schulbibliotheken? Wenn kommunale Verantwortung endlich alles besser macht, warum verrotten dann bereits jetzt Schulgebäude, findet (auch und insbesondere) in kommunaler Verantwortung Personalabbau, Lohndumping und Prekarisierung statt, werden mehr und mehr Schwimmbäder und Bibliotheken geschlossen, wird von Kommunen für die Benutzung von Schultoiletten inzwischen mancherorts eine Gebühr erhoben? Und wie um alles in der Welt sollte es erst werden, wenn eben diese Kommunen auch noch über Gehaltshöhe, Beschäftigungsdauer, Arbeitsbedingungen der Lehrerkräfte sowie gegebenenfalls über Inhalte der Schulbücher entscheiden dürften; wieso sollte uns dies das behauptete Schlaraffenland der Bildung bescheren können?
Die Antwort lautet: Die Kommunen können die Versprechungen gar nicht halten. Hinter wohlklingenden Worten wird de facto eine massive Verschlechterung der Lehr-, Lern- und Arbeitsbedingungen versteckt. Was als Dezentralisierung politischer Verantwortung und als Überwindung landeseinheitlicher Standards daherkommt, ist nichts anderes als eine massive Deregulierung und Abbau von arbeitsrechtlichen und pädagogischen Standards. Den Befürwortern geht es um die Überwindung von Markteintrittshürden und die Öffnung des bisher geschützten Bildungsmarktes für private Akteure und Belange. Des Bildungsmarktes wohlgemerkt, dem »Verwaltungsmodernisierung« und »Selbstständige Schule« den Weg bereitet haben.
In Bayern, wo mehrere Großstädte seit Langem berufliche Schulen in eigener Trägerschaft halten, schließt sich bereits der Kreis: Nachdem der Verband der Berufsschullehrer aufgrund der Finanznot der Kommunen bereits vor acht Jahren vor einem Kollaps der kommunalen Schulen warnte, führen heute bereits verschiedene Landkreise Gespräche mit privaten Anbietern, denen sie ihre Schulen überantworten wollen. Die Alternative hierzu schließt das zuständige Kultusministerium dabei aus guten Gründen rigoros aus: Eine Verstaatlichung einer der kommunalen Schulen sei nicht möglich, weil dann alle anderen auch Anrecht hierauf hätten und das zu teuer würde. Finanziell sei schließlich eine Differenz etwa bei den Verwaltungskosten gegeben, heißt es zur Begründung.
Das ist die Konsequenz der vielbeschworenen Kommunalisierung: Hat erst einmal allein die Kommune die Verantwortung für Bildung und Bildungseinrichtungen, kann sie qua kommunaler Selbstverwaltung auch entscheiden, Leistungen durch billigere Fremdanbieter erbringen zu lassen, sich die Trägerschaft mit einem solchen zu teilen oder beispielsweise Drittmittel über feste Sponsoring-Partner zu akquirieren, die dann etwa einzelne Unterrichtsinhalte bestimmen können.
Der Autor ist Referent für Bildungspolitik der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Hessen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.