Der Westen lässt sich testen

Karikatur-Ossis in Hannover

  • Harald Kretzschmar
  • Lesedauer: 3 Min.
Otfried Zielke: »Chef, so muss mein Gartentor werden«
Otfried Zielke: »Chef, so muss mein Gartentor werden«

Da ist er also, der Ostblick auf sich selbst und auf die andere Seite. Deutschland einig Karikatur- Vaterland. Wir dürfen es erleben:
ALeben und Streben Ost zeigt sich leichtkarikiert bedeutungsschwer von seiner erheiternder Seite mitten in Niedersachsen. Die Obersachsen und ihre Berliner Anrainer zeigen, was eine Harke made in GDR war und was danach kam. Es war der feine Einfall des sich damit in den Ruhestand verabschiedenden Museumsdirektors Professor Neyer, neben handzahmer auch
aufmuckende Satire aus dieser Himmelsrichtung anzubieten. Es tut also gerade so weh, wie der Zeitgeist erlaubt. Bundesrepublik Ost live. Wo die Ausstellenden herkommen, ist längst offiiell durchinterpretiert – Mauer, Zensurbeengung, Angst –, hier ist solches ausgeklammert.
Erst einmal stellt sich jeder Name mit Originalton Ost um 89 vor.

Test the East erweist sich als schonungslose Bilanz. Anschließend wird schon der Westen getestet. Die Fortentwicklung in die schöne gesamtdeutsche Gemeinwohltätigkeit erweist sich
durchaus als satirefähig. Ging sie doch so merkwürdig holprig vor sich. Das wird kritisch
beleuchtet. Doch bald wurde schon Anpassung vollzogen – oft nur darin, formal immer beliebiger zu werden. Test the Best, das findet leider nicht statt. Ich kenne von den meisten Ausstellern Besseres, als hier zu sehen ist. Inzwischen gibt es Billigware nach Aldi-Muster im Witzregal. Leider betreibt die Hälfte der Ausstellenden schwelgerische Buntmacherei. Süßliche Himbeersoße aus dem Aquarellkasten spült die härteste Satire weich.

Dabei war der Ausgangspunkt pure Qualität, durchaus westkompatibel. Unverwechselbare Handschriften, originelle Ideen, moderne Formsprache. Das hochkarätige Leipziger Trio Forchner-Müller- Schade hat sich nach »Humor sapiens « einzeln weiter entwickelt – Ulrich Forchner mit scharfer Porträtistenfeder, Andreas J. Mueller Wimmelszenarien inszenierend und Rainer Schade als schwanker Gelegenheitssatiriker. Cleo Petra Kurze und Andreas Prüstel kamen ebenfalls mal aus Leipzig und mischten Berlin-Ost satirisch auf.

Sie mehr illustrativ, er als Collagist. Vom Styling der Neustarter wurde sie beim »Magazin«, mit chicem Fototrip, und er beim »Eulenspiegel «, mit Dagoberts PCMalerei, verdrängt. Test the
West, das hieß Nervenstärke gegenüber unvermuteten Zumutungen zeigen.

Der Rumäne Ion Cozacu alias Nel, Senkrechtstarter kurz vor der DDR-Wende, eroberte mit souveränem politischem Witz die Tageszeitung in Erfurt. Indem Rainer Ehrt von Kleinmachnow aus mit geistvoller Druckgrafik und aktueller Zeichensatire zweigleisig
operiert, steigert er seine Kunstform. OL alias Olaf Schwarzbach fand mitten in den Wendewirren einen kostbar komischen Sparstrich, den er inzwischen ins zweifelhafte Farbbad taucht. Das tut ihm leider Peter Thulke gleich, wenn er seine witzberstenden Mann-Frau-Dialoge in immer derselben stotternden Zeichensprache unter Wert verkauft. Aus seinem Versteck im Oderbruch heraus eine lange Nase dreht allen anderen in puncto Komik der naiv-freche Otfried Zielke. Wer sich da zeigt, das sind die Jahrgänge um das fünfzigste Lebensjahr herum. Midlife. In jungen Jahren vom alten System tangiert.

Ja, nolens volens von und in ihm entwickelt. So oder so. Man trainierte neben sehr eigener Ideenfindung hervorragendes Zeichnen. Errang in der Regel höchste künstlerische Weihen.

Nationale Anerkennung und internationale Preise in Rekordtempo. Ob die Stasi dabei mitgewirkt hat, das zu erwähnen, ist dem mehr oder weniger souveränen Blick auf die eigene Biografie überlassen. Die im Katalog detailliert gedruckten Lebensläufe sind beredt genug auch im Verschweigen.

Zu vergessen, wie nützlich etwa solidarische Kollegialität als Motor für den Start in die Karikaturenmacherei war – der beste Test, wie schnell Gewohnheit West Charaktere anglich.

TEST THE WEST! Karikaturisten aus Ostdeutschland.
Wilhelm Busch – Deutsches Museum für Karikatur & Zeichenkunst, bis 27. November,
Di-So 11-17 Uhr, Katalog »Cartoon Journal«, Schaltzeit Verlag
Berlin, 8,50 €.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.