Wie Eltern aus Erfahrung lernen

In der Wirtschaft steht ein Generationswechsel bevor

  • Jürgen Meier
  • Lesedauer: 8 Min.
In der deutschen Wirtschaft steht ein Generationswechsel an. Fast 700000 westdeutsche UnternehmerInnen sind heute mindestens 55 Jahre alt und setzen sich spätestens in zehn Jahren zur Ruhe. In rund 370000 Familienunternehmen mit einem Umsatz von über 100000 Mark werden Chefin oder Chef den Platz räumen. Das ergab eine Studie des Instituts für Mittelstandsforschung (IfM) aus Bonn, die sich auf die Jahre 1999 bis 2004 bezieht. Nicht alle werden einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin finden: Die Studie prognostiziert, dass knapp 28000 dieser Unternehmen geschlossen und rund 81000 verkauft werden. Senioren, die ihr Unternehmen weder stilllegen noch verkaufen wollen, haben grundsätzlich drei Möglichkeiten: Sie übergeben ihre Firma an einen Mitarbeiter (MBO - Management Buy Out), an einen externen Interessenten (MBI - Management Buy In), oder sie finden in der eigenen Familie jemanden, der das Unternehmen übernimmt - sei es Tochter oder Sohn, Nichte oder Neffe. In rund 157000 Fällen rechnen die IfM-Forscher mit einer familieninternen Lösung, die offensichtlich nur dann von Erfolg gekrönt ist, wenn die Nachfolgegeneration an der Qualität der Produkte interessiert ist und nicht nur am finanziellen Wohlstand.

In der Landwirtschaft
Eine blitzblank polierte Dampfmaschine aus der Gründerzeit erinnert an die Tradition des Gutshofes in Mahlerten. Generationen von Landwirten wuchsen hier in enger Beziehung zur täglichen Arbeit ihrer Väter, Mütter und Betriebsleiter auf. Manche der angehenden Bauern konnten eher Traktor als Fahrrad fahren. Weil heute in der Brennerei des Gutshofes ein Mitarbeiter erkrankt ist, springt Berend Wittenberg, der Vater von Jan Wittenberg, ein. Er kennt jeden Handgriff. »Ich habe die Maische in den Gärbottich gepumpt, und da steht sie jetzt 72 Stunden«, ruft er mir verschwitzt zu, während er hoch oben, an der Spitze des Alubehälters, dessen Gehäuse mit einem Wasserschlauch reinigt. Sohn Jan weiß die Kompetenz des Vaters zu schätzen, besonders während der Erntezeit laufe auf dem Hof nichts ohne den Vater. »Ich bin überwiegend draußen«, erzählt Jan, »das operative Geschäft mach ich alleine. Vater macht die Buchführung und ist flexibel einsetzbar.«
Hier ist von Generationskonflikt nichts zu spüren. Kein Machtkampf des jungen gegen den alten Gutsherren. In dem neugotischen Gutshaus von 1885 leben sie sogar, jeder in seiner eigenen Wohnung, unter einem Dach zusammen. Diese Harmonie sei nur möglich, wenn man nicht mit Romantik, sondern mit klarem Verstand die Beziehung zwischen Alt und Jung rechtzeitig regelt. »Inzwischen ist es so«, erklärt Vater Wittenberg, »dass mein Sohn den Betrieb übernommen hat. Ich bin sozusagen Angestellter bei meinem Sohn und verdiene mir mein Altenteil. Mein Sohn leitet den Betrieb.« Sohn Jan: »Mein Vater hat ganz anders gehandelt, als es die Generation vorher gemacht hat. Grundsätzlich anders!«
Berend, selbst ein studierter Argrarökonom, der nach seinem Studium als Angestellter, dann als Partner des Vaters auf den Hof kam, hat von den Fehlern, die diese väterliche Dominanz für ihn bedeutete, gelernt. Als sein Sohn Jan auf den Hof kam, hat er ihm sofort alle Verantwortung und den kompletten Betrieb übertragen. Doch bevor der Vater den Stuhl räumte, musste sich Jan die nötigen Kompetenzen zur Leitung des Gutes erst aneignen. »Ich habe Agrarwissenschaften, Schwerpunkt Pflanzenproduktion studiert. Genau nach meinem Vordiplom kam die Wende. Das war für die Landwirtschaft in Deutschland ein entscheidendes Datum. Ich unterbrach für ein und ein halbes Jahr mein Studium und habe einen Ostbetrieb organisiert. Nebenbei habe ich im Osten Ackerbauberatungen durchgeführt. Nach Abschluss meines Studiums bin ich für viereinhalb Jahre in verschiedenen Betriebsleitungen in Ostdeutschland aktiv gewesen.«
Vater Berend blickt nicht nur mit Stolz auf seinen Sohn, es fällt ihm auch nicht schwer zu sagen: »Der Junge kann es besser als ich!« Da ist aber noch etwas anderes, das beide Generationen verbindet: die Musik. Der Vater spielt nicht nur auf dem Hof die zweite Geige. Nach 35 Jahren Pause hat er wieder Freude an seinem Geigenspiel, das er nach dem Studium vernachlässigte, weil er glaubte, eine Bauernhand müsse den Hammer und das Werkzeug führen, dürfe aber nicht die Seiten einer Violine streicheln. Sohn Jan entdeckte die Trompete für sich, auf der er es zu beachtlicher Leistung brachte. Gemeinsam mit anderen Musikern hat er im eigenen Tonstudio manches Lied auf CD gebannt.

In der Industrie
Wolfgang Mathai, heute ein sehr erfolgreicher Industrieunternehmer, dessen Produkte auf der ganzen Welt in großen Kosmetikfirmen zur Anwendung gelangen, blickt auf seine Vergangenheit als Juniorchef zurück, wo er stets im Windschatten seines Vaters zu agieren hatte. »Ich bin in einen ganz typischen Familienbetrieb gesetzt worden. Es gab nur traditionelle Hierarchien. Mein Vater hielt sehr an seiner Unternehmerfunktion fest. Da musste ich kämpfen. Das waren sehr negative Erfahrungen. Ich habe versucht, diese Fehler nicht zu wiederholen. Ich habe von Beginn an versucht, die Firma und nicht mich in den Vordergrund zu stellen. Dadurch wurden die Repräsentanten der Firma austauschbar.« Sohn Oliver, seit 1997 in der Firma, lächelt zustimmend. »Ich hab von Anfang an volle Freiheiten im Bereich Verkauf und Marketing gehabt. Ich konnte alles so organisieren, wie ich es richtig fand. Wir haben damit großen Erfolg gehabt, von daher sind beide Seiten zufrieden.«
Doch natürlich musste auch Oliver erst außerhalb des väterlichen Betriebes eigene Erfahrungen sammeln. »Ich habe ein Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Universität Lüneburg abgeschlossen. Danach baute ich mit einem Studienfreund in Hamburg eine Werbeagentur im Bereich Sportmarketing auf.« Oliver gründete in Italien, USA, Japan, der Slowakai erst eigene Firmen im Bereich der Kosmetikindustrie, bevor er neben seinem Vater gleichberechtigter Teilhaber und Geschäftsführer im deutschen Stammhaus wurde. Er kam nicht als Sohn, sondern als Firmeninhaber in die Firma, in der er heute allein für den Verkauf verantwortlich zeichnet. Wolfgang Mathai: »Ich glaube, eine Vater-Sohn-Beziehung im Betrieb ist nicht tragfähig. Es geht nur über eine partnerschaftliche Beziehung, die also nichts mit der privaten Konstellation zu tun hat.«
Oliver verbrachte viele Spielstunden seiner Kindheit in allen Schlupfwinkeln des väterlichen Betriebes. Der Kontakt zur Haarfaser, deren Repräsentation im Mittelpunkt der Firmenproduktion steht, faszinierte ihn bereits als Kind. »Da bei uns immer viel Haare gelagert sind, habe ich immer viel mit Haaren zu tun gehabt. Die wickelten sich als Fahrradschmuck häufig um die Kette.« Er lacht. Vater und Sohn verbindet persönlich noch mehr als die Ziele ihrer Arbeit. Seit vielen Jahren sind sie begeisterte Motorsportler. Oliver startet mittlerweile als Amateur bei den deutschen Profis ganz vorne mit. Da kann Wolfgang nur noch stolz lächeln. »Wir haben sehr früh durch den Sport ein sehr partnerschaftliches Verhältnis gefunden. Hier gab es keine Hierarchie, sondern nur Gleichberechtigung. Hier zählt nur die Leistung. Da ist er mir heute natürlich überlegen.«

Im Handwerk
Jutta Timphus ist seit 1996 alleinige Chefin im elterlichen Konditor- und Bäckereibetrieb. Die Eltern hatten ihr und ihrem Bruder bereits 1992 alles überschrieben, doch dann kam es zu einem Streit zwischen Tochter und Sohn. »Wir haben immer geglaubt«, sagt die Mutter, »in unserer Familie passiert das nicht. Doch dann hat unser Sohn geheiratet, und von außen wurde etwas in die Familie getragen, das zu Reibereien führte, die schließlich dazu beitrugen, dass meine Tochter ganz aus dem Betrieb aussteigen wollte. Sie hatte ja Hotelfach gelernt und wollte ihr Glück woanders suchen.« Doch der Sohn entschloss sich mit seiner Frau, die Stadt zu verlassen. Er wollte seinen Anteil verkaufen. Hätte Jutta nicht die ganze Verantwortung für den Betrieb übernommen, wäre er am Ende gewesen. Die Mutter: »Das hätte mein Mann nicht überlebt.«
Jutta startete also unter erschwerten Bedingungen. Dazu gehörte, dass sie erneut lernen musste. »Mein Vater blieb als Betriebsleiter in der Handwerkskammer eingetragen, bis ich die Meisterprüfung als Konditorin in der Tasche hat.« Seitdem hat Jutta Timphus wieder alles allein in der Hand. In der Produktion arbeiten ein Bäckermeister, zwei Gesellinnen und drei Lehrlinge. Acht Verkäuferinnen und eine Hotelfachfrau sorgen in zwei Cafés und im Hotel, das Jutta vor fünf Jahren eröffnete, für die Kunden.
Auch bei Jutta begann die berufliche Orientierung bereits in der Kindheit. »Wir haben diesen Laden«, berichtet ihre Mutter, »immer mit Spaß betrieben. Mein Mann und ich hatten immer Freude an unserer Arbeit, das wirkt sich auf die Kinder aus. Sie durften schon früh helfen.« »Das war ja das Schöne«, schwärmt Jutta, »wir sind hier aufgewachsen, das ist das allerwichtigste. Kinder von Geschäftsleuten müssen teilhaben können an der Arbeit ihrer Eltern. Die Konditorei war unser Spielplatz.«
Ihre Mutter ist glücklich darüber, dass jetzt die Tochter für alles die Verantwortung übernommen hat. »Ich bin so froh«, erzählt sie mit strahlendem Gesicht, »dass ich die Verantwortung nicht mehr habe. Ich kann kommen, wann ich will, und die Arbeit macht mir Spaß. Die Verantwortung trägt sie ja.«
Auch der alte Konditormeister Timphus lernte negative Erfahrungen aus seiner eigenen Vergangenheit positiv zu wenden. Seine Frau erzählt: »Wir haben immer gesagt, wir geben rechtzeitig an die Kinder ab. Mein Mann war viel unterwegs. Er war einige Zeit auf Wanderschaft gegangen. Da hat er gesehen, wie manchmal ein Betrieb vom Großvater auf den Enkel übertragen wurde, so dass der Sohn völlig übergangen worden war. Das sollte bei uns nicht passieren. Hat ja letztlich auch gut geklappt!«
Doch auch bei Familie Timphus sind es nicht nur die verlockenden Produkte ihrer Arbeit und ihres Geschäftes, die Alt und Jung menschlich verbinden. »Man muss ja schließlich auch noch leben«, sagt die alte Frau Timphus, und dazu gehöre der gemeinsame Segeltörn mit dem eigenen Segelschiff. »Bald ist es wieder so weit, dann geht es los!«

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