Sturmgewehre - wie aus 1001er Nacht?
Angeblich stammen die deutschen G 36 aus einer legalen Lieferung nach Ägypten
Die in einer hauptstädtischen Residenz des ehemaligen libyschen Machthabers Muammar al Gaddafi entdeckten deutschen Sturmgewehre sollen aus einer Lieferung des Herstellers Heckler & Koch nach Ägypten stammen. Die deutsche Regierung habe dem Unternehmen in Oberndorf 2003 Exportgenehmigungen nach Ägypten erteilt, berichtete die »Bild am Sonntag«. Die Zustimmung der Regierung habe sich auf 608 Sturmgewehre und Munition bezogen.
An der Meldung ist so einiges zu korrigieren. Da die Regierung und speziell das für die Genehmigung des Kriegswaffenexports zuständige FDP-gelenkte Wirtschaftsministerium stets ihre restriktive Exportpolitik einschließlich einer exakten Kontrolle hervorheben, muss erwähnt werden, dass die Genehmigung insgesamt nur für 606 Gewehre mit KWL-Nummer ausgestellt wurde. Es ist zu erwarten, dass die Regierung keinen Großkundenzuschlag akzeptiert hat. Doch auch in den Folgejahren wurden zahlreiche Waffen und Waffensystem zum Export nach Ägypten zugelassen, jedoch keine Gewehre. Ergo: Es bleibt eine Differenz von zwei Sturmgewehren.
Man mag derartige Rechnungen kleinlich finden, doch sogenannten Kleinwaffen - wozu die G 36 zählen - sind rund zwei Drittel der zivilen Opfer in Kriegen und Bürgerkriegen anzulasten. Heckler & Koch gehören zu den begehrten Herstellern von derartigem Mordwerkzeug. Die Produkte aus Oberndorf im Schwarzwald gelangen über Direktexporte oder über Lizenznehmer in aller Welt.
Woher kommt also die Zahl 608? Wer ermittelte, dass die Waffen über Ägypten nach Libyen geschmuggelt wurden? Die Staatsanwaltschaft in Stuttgart, bei der seit August sowohl eine Anzeige des Herstellers wie eine vom Rüstungsexportgegner Jürgen Grässlin liegen? Nein. Die Staatsanwälte haben nicht schlampig, sie haben - wie eine nd-Nachfrage ergab - gar nicht gearbeitet. Noch immer ist kein Ermittlungsverfahren eröffnet.
Die offenkundig falsche Zahl wurde von Heckler & Koch in Umlauf gebracht. Niemand anders als die Chefs der G 36-Herstellerfirma selbst sind die in der deutschen Presse anonym zitierten »Ermittler«. Sie behaupten in einer Mail an den Bundestagsausschuss für Wirtschaft und Technologie: »Die in Betracht kommende Lieferung erfolgte 2003 und 2004 mit einer Gesamtstückzahl von 608 Stück.«
Auch die Information über den Ägypten-Schmuggelweg stammt offenkundig von der Firma. Denn nach Draufsicht auf die in Libyen von Rebellen erbeuteten Waffen war klar, dass die G 36 im Jahr 2003 vom Beschussamt Ulm getestet und mit entsprechenden Prägungen versehen worden sind.
Ägypten bietet einen gewissen Rückverfolgungsschutz, weil der gerade vollzogene Umsturz dortige Verantwortliche der Regierung Mubarak hinfort gespült haben könnte. Dennoch: Jeder Kunde, der gegen die Endverbleibsklausel gelieferter deutscher Rüstungsprodukte verstößt, riskiert ein Exportverbot. Das würde natürlich auch den Hersteller treffen. Bei Ägypten wäre das im Moment jedoch nicht so tragisch. Nachdem im »Arabischen Frühling« Menschenrechtsverletzungen des Militärregimes nicht mehr wegzureden waren, beschloss Deutschland einen Lieferstopp. Offiziell hieß es: Diktatoren, die Waffen gegen das eigene Volk einsetzen, haben aus Deutschland keine neuen Lieferungen zu erwarten. Zurecht, wie Rüstungsexportgegner Grässlin meint. »Wenn sich jetzt noch herausstellt, dass deutsche Waffen illegal über die Grenze zu Gaddafi gebracht wurden, der gleichfalls ins Volk schießen lässt, dann sollte unsere Regierung das Waffenembargo gegen Kairo umso gründlicher durchsetzen.«
Heckler & Koch hatte vor Wochen bereits angekündigt, selbst Experten nach Libyen zu schicken, die die Herkunft der illegalen G 36 erforschen sollten. Anhand der Nummern, die die Waffen jetzt tragen, ist das nicht möglich. Die ursprünglichen Ziffern sind so gründlich weggelasert worden, dass kein technisches Hilfsmittel sie erwachen lässt. Fotos, so machte die Firma bislang stets geltend, helfen nicht. Doch wenn man die Waffe auseinandernimmt, kann man durchaus noch zusätzliche Herstellungsmerkmale finden.
Macht also Sinn, so ein Vorort-besuch. Zumal dann, wenn die Bundesregierung samt des vom Kanzleramt geführten Bundesnachrichtendienstes offenkundig ebenso untätig bleiben wie die Stuttgarter Staatsanwaltschaft.
Wie aber lässt sich beweisen, dass die Lieferung aus Ägypten nach Tripolis nicht eine Geschichte aus 1001 Nacht ist? Haben Experten von Heckler & Koch etwas in Libyen entdeckt? Nein, denn sie waren noch nicht dort. Und so teilen die beiden Geschäftsführer zur großen Verwunderung all derer, die nicht nur vorgefertigte »Bild«-Meldungen nachdrucken wollen, mit: »Anhand von uns vorgelegten Pressebildern haben wir eine vorläufige Überprüfung der Funde vorgenommen. Die Indizien aufgrund von Fotografien liefern zwar keinen Beweis, wir können dennoch mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen ...« Ja wovon ausgehen? Dass Nachfragen zu den deutschen G 36 in Libyen bald schon abebben?
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