Wiederentdeckt: Die Frauen der Pop Art
Pop Art, könnte man meinen, bediene vor allem den Macho-Blick. Doch die Ästhetik der grellen Flächen und der Alltagsmythen kannte auch eine freche weibliche Seite. Künstlerinnen wie Dorothy Iannone haben die sexuellen Hierarchien der offiziellen Pin-up-Kultur selbstbewusst umgedreht. »Wiggle your ass for me« (»Wackel für mich mit dem Arsch«), ruft Iannones Comic-Busenwunder der Männergesellschaft entgegen: Vom Objekt zum Subjekt der Begierde.
Üblicherweise dauert es etwas länger, bis die feminine Seite einer künstlerischen Bewegung entdeckt wird. So auch bei der Pop Art. Wer weiß heute noch etwas über Jann Haworth und ihren Anteil bei der Gestaltung des »Sgt. Pepper«-Covers von den Beatles? Wer erinnert sich noch an die Materialbildhauerin Marisol, an Christa Dichgans und ihre Gemälde von knallprallen Gummitieren oder an Sister Corita, die aus dem Orden gejagte Ex-Nonne?
Nachdem die bösen Mädchen der Sixties lange im Schatten der Männer standen, wurden sie jetzt wiederentdeckt. Endlich! Unter dem Motto »Power up!« hat die Kunsthalle Wien im Frühjahr den Boden für ein Comeback von Warhols flippigen Schwestern bereitet. Dann ist die erfrischende Gruppenschau ins württembergische Bietigheim-Bissingen weitergereist. Zugleich holte das Mönchengladbacher Museum Abteiberg eine der interessantesten Künstlerinnen des Jahrzehnts mit einer Einzelausstellung zurück ins Rampenlicht: Evelyne Axell.
Ursprünglich Schauspielerin, führte sie ein kurzes, wildes Leben zwischen Filmstudio und Atelier: Unterricht bei René Magritte, eine Affäre mit Maximilian Schell und ein tragischer Unfalltod. Vordergründig kam Axells Glamourkunst dem Zeitgeschmack bereitwillig entgegen – doch nur, um den Voyeurismus ins offene Messer laufen zu lassen. Etwa mit einer verstörend zweideutigen Eisschleck-Lolita. Wer Böses denkt, enttarnt sich selbst als Schelm. Bei einem Happening ließ die Künstlerin ein Nacktmodell auftreten, das sie mit ritueller Langsamkeit ankleidete. Ähnlich wie in Axells Anti-Striptease spielten auch die anderen Pop-Frauen voller Ironie mit herrschenden Sexklischees. Noch ohne Moralfeminismus, ohne Genderdiskurse – aber das Patriarchat musste die Hosen runterlassen.
Bei Iannone hängt einem karikaturesk verhunzten US-Präsidenten die Krawatte als Penis aus dem Jackett raus, während sich anderswo ein provokanter Geschlechtertausch vollzieht und starke Amazonen Hoden im Schamdreieck hängen haben. Verglichen mit der zeit- wie respektlosen Schlagkraft ihrer Arbeiten wirken Tracey Emin, Pipilotti Rist und andere postfeministische Gören des 21. Jahrhunderts wie kreuzzahme Klosterschülerinnen.
Aufmüpfig-unbequem agierte auch die junge Niki de Saint-Phalle. Die Quotenfrau der Pop Art (als Einzige ihrer Generation wurde sie schon früh international gefeiert) hat nicht nur die allseits beliebten, vollschlanken »Nana«-Skulpturen hinterlassen. Die Retrospektive der Franko-Amerikanerin – derzeit in der Kunsthalle Würth in Schwäbisch Hall ausrichtet, berücksichtigt auch das weniger plakative Frühwerk. Puppenteile und Totenköpfe wirbeln da in Trashcollagen durcheinander. Für expressive Schießbilder griff die Künstlerin zum Gewehr und entlud ihren Hass auf das Establishment symbolisch, indem sie Farbbeutel zerschoss.
Auch an anderen gesellschaftlichen Themenfronten erhob der »Weiberpop« seine schrille Stimme: Im Siebdruck, dem Leitmedium der Epoche, kämpfte Sister Corita gegen den Vietnamkrieg. Auf bunten Untergründen bringt die typografisch talentierte Klosterfrau aufrüttelnde Politparolen mit aktuellen Nachrichtenfotos zusammen. Die Österreicherin Kiki Kogelnik indes kommentierte den von der Mondlandung ausgelösten Weltraum-Hype verschmitzt mit formschönen Matrizenkörpern, die in Blasenschwerelosigkeit schweben. In diese Richtung zielt auch Axells »Valentine«: das Materialbild einer Overall-Lady mit sich öffnendem Reißverschluss – gedacht als Hommage an Walentina Tereschkowa, die erste Frau im Weltall. Auch sie ein vergessenes Opfer der Männergesellschaft. Musste die Kosmonautin doch Sex in der Raumkapsel haben. Zu wissenschaftlichen Zwecken, wie es heißt.
»Niki de Saint Phalle: Spiel mit mir« bis 23. 10. in der Kunsthalle Würth, Schwäbisch Hall. Mo-So 11-18 Uhr.
»Power Up! Female Pop Art« bis 9. 10. in der Städt. Galerie Bietigheim-Bissingen. Katalog
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