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Lief alles wie geschmiert ...
REEMTSMA AUF DER KRIM
Was hat den Reemtsma-Konzern, den »De-facto-Monopolisten der deutschen Zigarettenindustrie« (mit mehr als 70 Prozent der Gesamtproduktion 1939) bewogen, sich auf der Krim zu engagieren, nachdem die 11. Armee der Heeresgruppe Süd die Halbinsel im November 1941 weitgehend erobert hatte? Dies wollten die Autoren dieses Bandes wissen.
Ihre Recherchen enthüllen die skrupellosen Praktiken des in Hamburg residierenden Firmenchefs Philipp Fürchtegott Reemtsma. Für ihn lief in der okkupierten Urkaine alles »wie geschmiert«. Durch Spenden in Millionenhöhe für die Nazis, vor allem an den mächtigen »Beauftragten für den Vierjahresplan«, Reichsmarschall Hermann Göring, war Reemtsma zu Kriegsbeginn unter die zehn größten deutschen Unternehmen aufgestiegen. Damit lag er deutlich vor der Dresdner Bank, der Friedrich Krupp AG und noch vor dem Flick Konzern. »Infolgedessen strotzten die Reemtsmas vor Überliquidität.« 1939 bezifferte sich das Vermögen von Philipp Fürchtegott Reemtsma auf 30 Millionen Mark. Nach Kriegsende wurde es auf 150 Millionen Mark geschätzt.
Die Kriegsjahre bekamen dem Konzern wie eine Badekur. Es gab zwar im NS-Staat eine, zuvörderst der Erhaltung der »Erbtüchtigkeit« dienende, Anti-Nikotin-Bewegung. Dieser aber stand die Forderung maßgeblicher Stellen nach »uneingeschränkter Bedarfsdeckung mit Tabakwaren« entgegen. Der Zigarettenbedarf stieg mit der Dauer des Krieges, vor allem unter den Soldaten und bei den »Sonderkommandos«, die für das Morden mit Schnaps und Sonderrationen Zigaretten belohnt wurden. Die Zigarettenfabriken zählten entsprechend zu den »wehrwirtschaftlich wichtigen« Betrieben.
Reemtsmas Expansionsdrang kannte keine Grenzen. Der Konzern beriet den Stab der SS-Einsatzgruppe A bei der Auswahl eines geeigneten Standorts für ein KZ. Zum eigenen Vorteil, versteht sich. Reemtsmas »Sonderführer« sorgten dafür, dass das Zusammenwirken zwischen Wehrmacht und Konzernführung »bis zum Ende der Besatzungszeit ungestört und reibungslos« verlief.
An die 30 000 Menschen, vorwiegend Frauen und Männer von 16 bis 60 Jahren, später auch 15- und 14-jährige Kinder, mussten in der Tabak- und Zigarettenfabrikation Zwangsarbeit leisten. Unter härtesten Bedingungen zwölf Stunden am Tag (Kinder sechs bis sieben), kärglich entlohnt und ungeschützt gegen das giftige Nikotin, trugen sie dazu bei, dass die Tabakwirtschaft »das bei Weitem profitabelste Segment der deutschen Okkupationswirtschaft auf der Krim« wurde.
Konzernchef Reemtsma konnte auf seine »Leute« in den Wehrmachtsstäben zählen. Sie »drängten persönlich darauf, im Einsatz zu bleiben«, notiert er zufrieden. Diese Hingabe, so die Autoren, rührte aus deren Identifizierung mit der Expansionsstrategie ihres Unternehmens sowie deren Hoffnung auf eine steile Nachkriegskarriere als Dank.
Karl Heinz Roth und Jan Peter Abraham haben die Geschichte des Kriegsprofiteurs Reemtsma eingebettet in den Raub- und Vernichtungsfeldzug der Wehrmacht. Sie berichten auch über den Widerstand gegen die faschistischen Okkupanten und reflektieren das schändliche Verhalten, als es um die Entschädigung der Zwangsarbeiter ging. Diese wurden, wenn überhaupt, nur mit »Brosamen vom Herrentisch« abgefunden.
Ein eigenes Kapitel wäre die – hier nicht behandelte – Beziehung des Philipp Fürchtegott Reemtsma in der Nachkriegszeit zur Familie des in Nürnberg 1946 hingerichteten Kriegsverbrechers Göring. Seine Freundschaft zu jenem übertrug er nun auf die Witwe Emmy und Tochter Edda. Mit hohen Geldbeträgen, die – wie aus einem Schreiben vom 24. Januar 1956 hervorgeht – als »steuerfreie Wiederaufbauanleihe« deklariert wurden, finanzierte er deren Klagen vor Gericht. Dabei ging es u. a. um das Eigentumsrecht an dem Bild »Madonna mit dem Kind« von Lucas Cranach, das Göring 1938 von der Stadt Köln als »Geschenk« zur Taufe von Tochter Edda erpresst hatte.
Karl Hein Roth/Jan Peter Abraham: Reemtsma auf der Krim. Tabakproduktion und Zwangsarbeit unter der deutschen Besatzungsherrschaft 1941-1945. Edition Nautilus . 576 S., geb., 39,90 €
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