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Invasion aus den Schlafsilos
JORDAN IWANTSCHEW zeichnet Bulgarien in düsteren Farben
Was für ein Horrorbild, eine Schreckensvision. Es war Mitte der Neunziger, der EU-Beitritt des Balkanlands noch unwahrscheinlich, da hatte der Erzähler Jordan Iwantschew, geboren 1949 in Burgas, diesen furchtbaren Traum. Er sah Bulgarien, wie es im Jahr 2002 aussehen könnte: Die Wirtschaft ist kollabiert, der Handel mit dem Westen zusammengebrochen. Kein Geld mehr von drüben, keine Waren; der Staat löst sich auf, schon herrscht Balkan-Anarchie, Balkanisierung. Es gibt kaum zu essen, es gibt keinen Strom, statt der gewählten Obrigkeit herrschen durchgeknallte Typen. In den Städten wird geschossen und geplündert; kommt ein Ordnungstrupp hinzu, liquidiert er die Kontrahenten; Diebe werden gehängt. Sofias Trabantenstädte, Siedlungen mit Namen wie »Jugend«, »Freundschaft«, »Hoffnung« fallen in sich zusammen, Weinranken überwuchern den Rest. Die letzten Bewohner der Plattenbauten wagen halb verhungert den Marsch auf die Innenstadt, eine »Invasion aus den Schlafsilos«: »Sie gingen aufeinander los. Mit Eisenstangen und Holzknüppeln. Mit bloßen Händen. Mit Zähnen und Klauen.»
Das Schlimmste: Es gibt keinen Fluchtweg. Die reichen Länder haben die Grenze dicht gemacht, sie wollen keine Asylantenströme, die Mauer steht wieder. Eine Figur sagt es drastisch: »Jetzt sind wir das Scheißhaus Europas.« Wer dennoch rüber will, wird von Milizen im Sperrgebiet aufgespürt, gehetzt, erschossen. Drei Menschen versuchen es trotzdem – ein Philosoph namens Veselinov, er ist Dozent in Sofia, sein siebenjähriger Sohn Christo und ein Profi-Fußballer, Nedev, der zuletzt in leeren Stadien spielte. Die drei ziehen von Sofia aus durch wüstes Land, ein Land, das an das Heilige Römische Reich erinnert, Deutschland im Dreißigjährigen Krieg, wie Grimmelshausen es beschrieb. Die drei werden gefangen, versklavt, sie befreien sich wieder, sie stehlen und sie töten, ja, mit der Gesellschaft verschwand auch die Moral. Nach langer Irrfahrt lagern sie dicht am Zaun, in einem Camp mit anderen Flüchtlingen, die bei Dunkelheit losziehen, um an den Sperren ihr Glück zu versuchen. Man hört nur Gerüchte von der Grenze, von halbverwesten Leichen in Drahtverhauen. Und nachts dann die Schüsse. Niemand weiß, ob irgendwer den Sprung hinüber tatsächlich geschafft hat ...
»Die Farben des Grauens«: Schade, dass der Titel im Roman keine Rolle spielt, er wird nicht zur Metapher, das Grauen hat hier keine Farbe. Schade auch, dass die Figuren leblos wirken, Sprache und Stil so salopp. Augen strahlen, heißt es, und diebische Blicke schweifen. »Veselinov war ein nervenstarker Typ, sein Verstand messerscharf«, nanu. Manche Szenen scheinen aus einem Italo-Western entlehnt. Da geht der Held aufrecht durch den Kugelhagel, und Späne stieben aus zerfetzten Türen. »Veselinov betätigte den Abzug. Der enthauptete populistische Politiker sackte Veselinov vor die Füße.« Der Text wirkt obendrein aufgebläht, fast jeder Satz mit Füllwörtern überfrachtet. Nein, das Buch ist nicht gut geschrieben, wohl auch nicht gut übersetzt.
Aber die Kulisse beeindruckt, ein Teil von ihr: Erinnerung an den Eisernen Vorhang, an den Horror anderer Grenzanlagen. Und, ja, das ganze Bild fasziniert, diese Vision eines Düsterreichs, auf gewisse Weise wurde sie real. Bulgarien ist heute zwar Mitglied der EU, doch das Elend nimmt zu, partiell herrscht die Mafia. Täglich wächst wieder der Zaun.
Jordan Iwantschew: Die Farben des Grauens. A. d. Bulg. v. Barbara Beyer. Dittrich Verlag. 182 S., brosch., 16,80 €
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