Trojaner sind nur Teil des Schnüffelproblems

Union verteidigt Rechtsbruch

  • René Heilig
  • Lesedauer: 2 Min.
Die Behörden von Bund und Ländern haben in den vergangenen drei Jahren vermutlich in rund einhundert Fällen Spionagesoftware eingesetzt. Dabei sind die Hackerangriffe der Geheimdienste noch gar nicht enthalten.

Am Mittwoch wird sich der Bundestagsinnenausschuss mit dem Thema Staatstrojaner befassen. Donnerstag findet dann eine Telefonkonferenz der Innenminister statt, bei dem das Thema nicht ausgespart werden kann. Bis dahin betreibt die Union Meinungsmache. Beispielsweise Hans-Peter Uhl, Innenexperte der CSU. Der sieht in der Trojaner-Debatte eine »unverantwortliche Hysterisierung«. Er jongliert mit geringen Fallzahlen und betont: »Der Staat hackt sich mitnichten in die Computer seiner 82 Millionen Bürger.«

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger von der FDP fuhr Uhl umgehend und ungebremst in die Parade: »Rechtsstaatlich erschreckend ist die Schönrederei, dass jede Überwachung ohnehin nur die Bösen trifft.« Das »Schönreden« und »Abwiegeln« müsse endgültig aufhören. Uhls Haltung offenbart zudem ein seltsames Verhältnis zu Recht und Gesetz. Denn es geht nicht nur darum, wie oft diese Überwachungsmaßnahmen angewandt worden ist. Der vom Staat ausgeschickte Trojaner kann nämlich mehr, als ihm nach dem Urteil des höchsten Verfassungsorganes erlaubt ist.

Aber die Debatte birgt in der Tat eine Gefahr - hinter der Trojaner-Diskussion verschwinden andere staatliche Überwachungsmethoden fast gänzlich aus dem Blick. So erfasste das Bundesamt für Justiz im vergangenen Jahr bundesweit 20 398 richterlich angeordnete Telekommunikationsüberwachungen an. Spitzenreiter ist das Abhören von Handyanschlüssen mit 16 510 Anordnungen. Die Überwachung des Internetverkehrs wurde 997-mal richterlich unterstützt. Wie viele Menschen - Verdächtige wie harmlose Bürger - davon betroffen waren, ist unklar, da das Ministerium lediglich die Zahl von 5493 Ermittlungsverfahren bekannt gab.

Doch damit ist die Überwachung der Telekommunikation nur unzureichend beziffert. Es kommen die erfassten Verkehrsdaten hinzu. Dabei wird erfasst, wer mit wem, von wo wie lange telefonierte. 2010 gab es 12 576 richterliche Anordnungen zur Verkehrsdatenerfassung. Diese Zahl wird 2011 mit Sicherheit überschritten. Allein die Schnüffelorgie gegen die antifaschistische Februar-Demonstration in Dresden wird dafür sorgen, das die statistische Kurve nach oben schnellt.

Vom Bundesamt für Justiz nicht erfasst ist die Mithör- und Mitlesegier der Nachrichtendienste: Der BND, der Verfassungsschutz und der Militärische Abschirmdienst brauchen keine richterliche Genehmigungen. Jenseits der verdeckten Operationen, die niemals publik werden, holen die sich ihre Erlaubnis zum technisch gestützten Schnüffeln bei speziell vergatterten Parlamentariern. Sie sind in G10-Kommissionen zusammengefasst. Auf Bundes- wie auf Länderebene ist man sparsam mit Angaben über genehmigte Hackerangriffe. 2009 billigte die Bundes-G10-Kommission den Diensten 132 »Einzelmaßnahmen« zu. Davon betroffen waren zwischen 728 und 847 Menschen.

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