Werbung

Kontroverse ums Kruzifix im Sejm

Staatspräsident sorgt sich um die »Würde des Parlaments«

  • Julian Bartosz, Wroclaw
  • Lesedauer: 2 Min.
Im politischen Nachspiel der Parlamentswahlen ist Janusz Palikot bereits eine Hauptrolle zugefallen.

Auch Palikot wurde von Staatspräsident Bronislaw Komorowski zu Konsultationen über die Regierungsbildung eingeladen. Da die Fortsetzung der seit vier Jahren regierenden Koalition aus Bürgerplattform (PO) und Bauernpartei (PSL) bereits feststand, war das freilich nur ein formelles Ritual. Ungewöhnlich war, dass Komorowski gleich nach dem Gespräch bekannt gab, er persönlich werde in der ersten Sejmsitzung am 8. November eine Rede vor dem Hohen Haus halten. Es soll, wie verlautet, eine Mahnrede sein.

Verstanden wird diese Ankündigung als Ausdruck der Besorgnis des Staatspräsidenten um die »Würde des Parlaments.« Janusz Palikot hat nämlich »gedroht«, er werde gleich in der Eröffnungssitzung fordern, das 1997 von der »Solidarnosc« über Nacht an der Stirnwand des Sejms angebrachte Kruzifix zu entfernen. Laut Verfassung - so Palikot - sind öffentliche Einrichtungen zur Neutralität in Religionsfragen verpflichtet. Er werde nicht nachlassen, die Einhaltung dieses Rechtsstatus zu verlangen.

Premier Donald Tusk bezeichnet dies als »Hohn auf den modernen Staat, als Ablenken auf Ersatzthemen«. Dagegen wandte Ewa Siedlecka in der »Gazeta Wyborcza« ein, es sei durchaus anständig, an die Prinzipien des säkularen Staates zu erinnern und darüber zu diskutieren, statt - wie geschehen - heimlich des Nachts vollendete Tatsachen zu schaffen.

Die Reaktion der Amtskirche fiel erwartungsgemäß aus. Der Vorsitzende der Polnischen Bischofskonferenz, Erzbischof Jozef Michalik, klagte vor dem versammelten Episkopat in Przemysl, »einigen« sei die Demokratie unbequem, »weil ihnen das Kreuz nicht passt und sie es entfernen möchten«. Solche Leute blamierten sich als Polen. PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski will Palikots Forderung im Sejm durch die Vorlage eines Beschlusses zur Beibehaltung des Kruzifixes kontern. Die »Vereinigung von Katholiken und Patrioten - Unum Principium« plant eine landesweite Protestaktion. In Kraków griff am Sonnabend eine militante Gruppe von Katholiken die zur Unterstützung Palikots demonstrierenden Agnostiker an. Die Polizei ging dazwischen. Aber auch beim Warschauer »Marsch der Empörten« am Wochenende machten sich Palikot-Anhänger bemerkbar.

Ein Kulturwandel deute sich an, meint der Soziologe Janusz Czaplinski. Die junge polnische Generation sei hungrig nach Veränderungen im öffentlichen Leben. Systematisch wachse die Gruppe der »religiösen Abstinenten«. Ihr Anteil in der Gesellschaft sei seit 1990 von 10 auf 33 Prozent gewachsen. Die Tendenz zur Nichtteilnahme an kirchlichen Praktiken bestätigte auch die Direktorin des Meinungsforschungsinstituts CBOS.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.