Langweilige und Müde
»Trauer muss Elektra tragen« am Deutschen Theater Berlin
Der Krieg wandert. Er flaniert geradezu von außen nach innen - jedenfalls in dieser Inszenierung am Deutschen Theater Berlin. Stephan Kimmig bringt ihn uns in ein handliches Format: die Orestie gleichsam im Rahmen dessen, was die Fernbedienung des Fernsehers hergibt.
Tragödie auf amerikanisch? Danach fragte Eugene O'Neill, als er »Trauer muss Elektra tragen« 1931 zur Uraufführung brachte: »Ich gehe von der Theorie aus, dass die Vereinigten Staaten anstatt das erfolgreichste Land der Erde zu sein, der größte Fehlschlag sind. Ihre führende Idee ist jenes ewige Spiel mit dem Versuch, die eigene Seele dadurch zu gewinnen, dass sie gleichzeitig etwas außerhalb davon gewinnen.«
Während der Krieg nach innen wandert, drängt es den modernen US-Amerikaner immer nur nach außen. Ist er oberflächlich? Das zu leugnen wäre naiv - aber tief in seinem Innern tobt der unverstandene Krieg. Aus den geschichtlichen Bewegungsformen, Gewalt, Mord, Raub wächst, was man honorarpflichtig als Neurosen bei seinem Psychiater abliefern zu können glaubt. Die Tragödie - um deren Vergegenwärtigung es O'Neill geht - wird psychologisch und löst sich damit auf in Hysterie und Beziehungsterror. Aber wie es bei Rilke heißt: »Da stürzte Gott aus seinem Hinterhalt« - so verfliegt auch diese Illusion; die Tragödie lässt sich nicht für den täglichen Gebrauch handhabbar machen: Sie bricht aus.
Geschichte bringt sich schmerzhaft in Erinnerung, wenn man sie vergessen zu können glaubt. Der Krieg ist nie nur innen, er lauert auch außen, er vernichtet Menschen. O'Neill war sich der fatalen Geschichtslosigkeit seiner Landsleute bewusst, darum provozierte er sie mit einer in die Gegenwart getragenen Gewaltorgie der Orestie. Doch Stephan Kimmig scheint über das Verhältnis von innerem und äußerem Krieg, wenn überhaupt, dann nur sehr kurz nachgedacht zu haben.
Da zeigt sich dann in vielen kurzen Szenen, von Schwarzblenden unterbrochen, ein Spektrum jener zerstörerischen Gewalt, die in das Leben einer Familie einsickert. Jeder Krieg beginnt mit einer Lüge - und dieser Anfang wäre hier zu zeigen. Aber man sieht nichts außer schlecht gespielter Konversation. Der Motor, der den Abend antreiben müsste, er läuft in keiner Sekunde. Selten sah ich so leidenschaftloses, so routiniert hingeworfenes Theater, bei dem es um gar nichts zu gehen scheint.
Die Bühne von Katja Haß: ein Bunker-Guckkastenaufguss, bei dem man den Eindruck hat, O'Neill spiele im gleichen Bühnenbild wie vor zwei Jahren »Öl« (Regie und Bühne: Kimmig/Haß). Ja, es scheint alles auswechselbar geworden - auch die Schauspieler: unstatthaft blass. Man changiert, gestikuliert ins Leere, und wenn einem gar nichts mehr einfällt, dann küsst sich jeder mit jedem. Wie blöd. Bei Maren Eggert als Generalstochter Lavinia, die unter dem Terror all der Verschwörungs- und Mordpläne (und Taten!) um sie herum, schließlich ihre Seele verliert, hat man immerhin den Eindruck, sie würde gern mehr zeigen, als sie in dieser faden Inszenierung darf.
Erfrischend im müden Aufmarsch von Stadttheaterbarden wirkt allein die junge Natalia Belitski in einer kleinen Nebenrolle. Der Rest: müde abgezirkelt, ohne Ausdruckskraft und dramatische Fallhöhe - so dass selbst die zwei Stunden, auf die Kimmig O'Neill eindampft, sich in die Länge ziehen. Das ist kein achtungsvolles Scheitern an einem schwierigen und chaotischen Stoff, das ist empörend durchschnittlich.
Nächste Vorstellung: 27. 10.
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