Ein Tagtraum von der Welt

Wagners »Ring« in Halle und Ludwigshafen: Hansgünther Heyme inszenierte »Die Walküre«

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 4 Min.

Dahinter die Tagtraumwelt einer immerhin gestaltbaren Möglichkeit« - über den tieferen Sinn dieses Zitates aus Ernst Blochs »Prinzip Hoffnung« und seine Bedeutung für das Leben, die Kunst und den »Ring«-Deutungsansatz von Regisseur Hansgünther Heyme konnte man einen XXL-Opernabend lang nachdenken. Auf dem Programm stand »Die Walküre« des von den Bühnen Halle gemeinsam mit dem Ludwigshafener Theater im Pfalzbau gestemmten »Ring«-Projektes.

Das Bloch-Zitat ist auf einen Vorhang aus lauter Kinderbildern gedruckt und wird immer mal durchs Bild gezogen. Philosophie im Zack-Zack-Format. Im Bühnenhintergrund gibt es ein weiteres metaphorisches Kontinuum. Es ist eine Wand mit lauter digital durchnummerierten Schubfächern, deren möglicherweise vorhandenes System mit seiner Undurchschaubarkeit kokettiert. Auf der Bühne wie im Leben.

Aber Heyme erzählt vor allem die Geschichte, befragt sie konsequent nach ihrer Gegenwärtigkeit und bedient sich dabei einer Ästhetik, die als Opern-Türöffner wirken könnte. Dass »Die Walküre« mit einem Krieg auf Leben und Tod zu tun hat, hört man im aufgeregt stürmenden Vorspiel und in Siegmunds Berichten. Man sieht es aber auch, wenn gleich zu Beginn zwei militante Motorradgangs aufeinandertreffen. Die Lovestory zwischen den Zwillingen beginnt hier in einem nüchternen Raum vor einer Wand der Verzweiflung. Die Esche, in der Wotan das Wunderschwert für Siegmund deponiert hat: ein Leitungsmast.

Wenn Siegmund hierher flüchtet, Sieglinde ihn findet, Hunding heimkommt und plötzlich die Winterstürme dem Wonnemond weichen, dann hat diese »Walküre« schon gewonnen - in ihrer Kombination aus szenischer Offenheit und musikalischer Wucht. Was sich nicht in puren Phonstärken niederschlägt, sondern in Transparenz, Musikalität und einer Intensität, die für das differenzierte Kammerspiel (erster Akt) genauso viel Raum lässt wie für den heftigen Streit ums Prinzip (die auf Normentreue bestehende Fricka gegen ihren in Sachen Liebe anarchistisch offenen Ehemann Wotan und die großen, hauptsächlich verzweifelten Monologe Wotans, der gegen seinen Willen töten muss, was er liebt: Siegmund.

Heyme verlegt (als sein eigener Ausstatter) den Ehekrach zwischen Fricka und Wotan in eine Bar mit Spielautomaten - ein durchaus nicht abwegiger Verweis auf die Zockermentalität Wotans. Zum Walkürenritt haben die hinzugefügten kriegerischen Bardamen ihren fulminanten Auftritt. Jede einzelne - im wildem Outfit zwischen Edel-Punk und Kampfamazone - wirft sich auf einem Laufsteg in die Brust und liefert ihre Ernte ab: Die Truppe sammelt Helden für Wotan. Hier werden sie im handlichen Kistenformat in dem großen Heldenlager im Hintergrund archiviert. Jeder mit seinem Kennzeichen, keiner mehr als Individuum, nur noch als Nummer im Weltuntergangsgetriebe.

Was diese »Walküre« schließlich ganz ohne Einschränkung auszeichnet, ist ihre musikalische Qualität. Offensichtlich ist dieser »Nibelungen-Ring« nicht nur das Projekt eines ehrgeizigen Orchesterchefs, sondern ein Elixier, mit dem Karlheinz Steffens die Staatskapelle Halle in ungeahnte Höhen führt. So überzeugend wie bei dieser »Walküre« hat man das Orchester lange nicht erlebt. Obendrein steht ein Sänger-Ensemble zur Verfügung, das dem Wagner-Freund den Glauben an die Beherrschbarkeit der großen Partien zurückgibt. Das gilt allen voran für den sensationellen Siegmund von Thomas Mohr. Mit seinen unglaublichen Wälse-Rufen, der mustergültig eloquenten Musikalität, Strahlkraft und Kondition hat er sich einen Platz in der erste Reihe der Wagner-Tenöre erobert. Hoffentlich hören sich die Bayreuther Wagner-Schwestern das mal an und ziehen ihre Besetzungsschlüsse daraus.

Aber stimmlich war keineswegs Nacht, wo dieser Stern erstrahlte. Im Gegenteil: Der kraftvolle Hunding von Christoph Stegemann, der tadellos konditionierte Wotan von Gérard Kim, die charismatisch lyrische Sieglinde von Carola Höhn, die attraktiv auftrumpfende Fricka von Julia Faylenbogen und auch die etwas vibratoreiche, aber überzeugend gestaltete Brünnhilde von Lisa Livingston bis hin zu jeder einzelnen Walküre - hier ist ein Wagner-Ensemble beisammen, das den langen Abend wie im Fluge vergehen lässt.

Nächste Premieren der »Ring«-
Kooperation von Halle und Ludwigshafen:
»Siegfried« am
28.4.2012 in Halle, »Götterdämmerung
« am 30.11.2012 in Ludwigshafen.
Der komplette »Ring
des Nibelungen« wird im
Wagner-Jahr 2013 vom 3. bis
zum 9. 3. in Halle gegeben.

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