An der Wand lang

»Alcina« in Dresden

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Dresdner Semperoper steht bekanntlich eher für Wagner als für Händel, die Sächsische Staatskapelle eher für den großen romantischen Ton als für den flott koketten Schabernack, Stimmakrobatik und barocke Handlungsunlogik. Einen Brückenschlag zwischen beidem liefert die jüngste Premiere: Händels Zauberinnenoper »Alcina«. Der für die nächste Bayreuther Neuinszenierung (den »Fliegenden Holländer« 2012) nominierte Opernanfänger Jan Philipp Gloger führte Regie.

Anders als kürzlich bei Monteverdis »Krönung der Poppea« bedienten sich die Musiker (von wenigen Ausnahmen abgesehen) ihrer »normalen« Instrumente. Es wurde unter Leitung von Rainer Mühlbach also nicht der mittlerweile übliche Darmsaitenfuror entfesselt, sondern der noble, klassische Hochglanzklang gepflegt. Das wird den vorherrschenden Trend der historischen Musizierweise nicht sonderlich beeinflussen. Möglich müssen solche Barockausflüge aber bleiben, zumal, wenn auf so hohem Niveau musiziert wird hier.

Dass man bei den anspruchsvollen Gesangspartien ohne Gäste auskam und dennoch barocke Spitzenqualität bot, spricht für eine gute und vorausschauende Ensemblepolitik an diesem Opernhaus. Das gilt nicht nur für Alcina (faszinierend: Amanda Majeski), deren attraktive Schwester Morgana (Nadja Mchantaf), Barbara Senators Ruggiero und Christa Mayers Bradamante. Es gilt auch für Simeon Espers geschmeidigen Morgana-Liebhaber Oronte, Markus Butters Melisso und den Oberto von Elena Gorshunova. Dresden bietet ein Fest der Stimmen.

Auch Glogers klug durchdachte, ohne aufgesetzte Mätzchen auskommende, dabei doch sinnliche Inszenierung überzeugte. Eine witzige Pointe: Statt die von Alcina verwandelten Männern mit Tiermasken zu verkleiden, lässt man sie in verquer übergezogenen Angestellten-Anzügen von heute wie Tiere herumkriechen. Eine andere: Dank ihrer Zauberkräfte vermag es die elegant unterkühlte Alcina zunächst, ständig die hohen weißen Wände zu verschieben, um dann, beim Nachlassen ihrer Kräfte, von den selben Wänden wie von Gefängnismauern umschlossen zu werden.

Gloger setzt der erotisch entfesselten Alcina-Welt die brav geordnete bürgerliche Welt der Bradamante entgegen, die ihren verschollenen Liebsten Ruggiero aus den Fängen der Zauberin befreien will. In einem beständigen Hin und Her zwischen Täuschung und Wahrheit, gegossen in eine exzellente Personenführung, zeigt der Regisseur dabei, wie einerseits die eiskalte Alcina immer mehr zur leidenden, aber empfindsamen Frau wird, andererseits ihre Gegenspielerin Bradamante in immer radikaler und rücksichtsloser wird. Das geht so weit, dass sich Ruggiero seiner Gefühle nicht mehr sicher ist.

Gloger lässt dessen Suche nach sich selbst nicht in den vorgesehenen Untergang von Alcinas Reich münden, sondern in die Flucht Ruggieros. Am Ende erschießt der sich selbst. Alcina aber bleibt allein zurück und verzieht sich still zwischen die Kulissen-Versatzstücke von Ben Baurs Bühne.

Nächste Vorstellungen: 4., 10.11.

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