»Sind wir denn Leibeigene?«
Russlands KP-Vorsitzender Gennadi Sjuganow im Duma-Wahlkampf
Am Mittwoch nahm Sjuganow, der sich faktisch seit nahezu zwei Jahrzehnten an der Spitze der russischen Kommunisten behauptet, an der feierlichen Einweihung des restaurierten Lenin-Denkmals in der baschkirischen Hauptstadt Ufa teil. Lenins Ideen seien aktuell wie nie, sagte er. Auch deshalb beteilige sich seine Partei an der Wiedererrichtung von Denkmälern, die dem »demokratischen Taumel« der 90er Jahre zum Opfer gefallen seien.
Auf Wahlkampfreisen durfte sich der Chef der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation (KPRF) kürzlich auch in Berlin vor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) präsentieren. Selten, dass die Gesellschaft bekennende Kommunisten einlädt. Doch Sjuganows Partei wird als derzeit einzige ernst zu nehmende Oppositionskraft Russlands angesehen. Und er selbst könnte zum stärksten Konkurrenten Wladimir Putins bei den Präsidentenwahlen 2012 werden. So durfte der 67-Jährige zum Thema »Russlands Alternative: Die neue Linke« sprechen.
Einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts WZIOM zufolge kann die KPRF bei den Duma-Wahlen im Dezember auf 19 Prozent der Stimmen hoffen. Das wäre gegenüber 2007, als sie mit 11,6 Prozent der Stimmen 57 Mandate errang, ein beachtlicher Gewinn. Allerdings weichen die Vorhersagen der Institute erheblich voneinander ab. Und der Abstand zur Regierungspartei »Einiges Russland«, der WZIOM knapp 60 Prozent der Stimmen voraussagt, ist gewaltig. Immerhin verlöre die übermächtige »Partei der Geldsäcke«, wie Sjuganow sie nennt, damit ihre verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit.
Der KPRF-Chef will dem »Einigen Russland« aber höchstens 30 Prozent der Stimmen zubilligen, mehr wären nur durch Fälschungen möglich, meint er. Doch habe seine Partei nicht weniger als 500 000 Wahlbeobachter mobilisiert, die jedes Wahllokal überwachen sollen. Und Sjuganow bittet darum, dass ausländische Beobachter zumindest in die großen Städte entsandt werden. Illusionen scheint er sich dennoch nicht zu machen: KPRF-Beschwerden über 10 000 Verstöße bei vorangegangenen Wahlen lägen immer noch bei europäischen Gerichten.
Im Übrigen erinnert er an das Schicksal Husni Mubaraks, des ehemaligen ägyptischen Präsidenten: Dessen Partei hatte 2010 noch 80 Prozent der Parlamentssitze errungen, wenige Monate später war Mubarak gestürzt.
Über den in Russland geplanten Ämtertausch zwischen Premier Wladimir Putin und Präsident Dmitri Medwedjew empört sich Sjuganow: Das Verfahren sei ebenso lächerlich wie erniedrigend: »Sind wir denn Leibeigene, die einfach von einem zum anderen weitergegeben werden?« Während Putin seinen neuerlichen Wechsel in dem Kreml als Stabilitätsgarantie darstellt, bestreitet Sjuganow eben diese Stabilität. Russland ist heute laut Wahlprogramm der KPRF durch »kolossale soziale Ungerechtigkeit«, eine »demografische Katastrophe«, den »Zerfall der an der Rohstoffnadel hängenden Wirtschaft«, den »Verlust der Verteidigungsfähigkeit und der wichtigsten Verbündeten«, und eine »geistig-moralische Degradierung« gekennzeichnet. Und weder Putin noch »Einiges Russland« hätten ein realistisches Programm, das zu ändern, sagt der Vorsitzende der KPRF.
In Deutschland etwa liege der Höchststeuersatz bei 42 Prozent, in Russland dagegen bezahlten Oligarchen und Lehrer gleichermaßen 13 Prozent Einkommensteuer. Also habe er - Sjuganow - zu Putin gesagt: Ihnen gefällt es doch in Deutschland auch, warum besteuern Sie die Reichen nicht wenigstens mit 30 Prozent?
Sjuganow wirbt für eine »Regierung des Volksvertrauens«, die eine »grundsätzlich andere Wirtschafts- und Finanzpolitik« betreibt und dem Volk die »gestohlene Heimat« zurückgibt. Dies unter anderem durch die Verstaatlichung der Rohstoffwirtschaft, des Energiesektors und anderer wichtiger Zweige. Dass staatliche Regulierung sich gerade in Krisenzeiten als wirksam erweise, zeige das Beispiel Chinas mit seinem stabilen Wachstum. Von »Radikalismus« distanziert sich Sjuganow jedoch: Die KPRF trete für eine Wirtschaft mit verschiedenen Eigentumsformen, für den Wettbewerb der Partien und für freie Debatten ein.
Gefragt, ob sich seine Partei also mehr am Beispiel der KP Chinas oder an dem der deutschen Sozialdemokraten orientiere, antwortet der KPRF-Vorsitzende routiniert: In Russland gebe es weder genügend Chinesen noch genügend Deutsche, also müsse das Land einen russischen Weg gehen. Fürs eventuell besorgte Publikum fügt er hinzu: Die Beziehungen zu Europa seien für jede russische Führung von strategischer Bedeutung und müssten gepflegt und ausgebaut werden.
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