Hat die LINKE ein Führungsproblem?
Nicole Gohlke: Die LINKE hatte politische Probleme: die Schwierigkeiten beim Zusammenwachsen der Quellparteien, eine veränderte bundespolitische Konstellation mit einer mit den Grünen und der SPD geteilten Oppositionsrolle im Gegensatz zur Großen Koalition bis 2009, das lange Ausbleiben sozialen Widerstands in der Bundesrepublik trotz sich verschärfender Krise. Diesen Herausforderungen gilt es gemeinsam politisch und solidarisch zu begegnen - mit dem erfolgreichen Bundesparteitag und der fast einmütigen Verabschiedung des Programms ist ein Anfang gemacht. Dass dies so gelungen ist, geht auf das Konto der gegenwärtigen Führung.
Wolfgang Methling: Ja, leider. Aber aus meiner Sicht kann das keinesfalls auf die beiden Parteivorsitzenden reduziert werden. Sie haben in den ersten Monaten ihrer Amtszeit nicht immer glücklich agiert, haben manchmal nicht bedacht, welche Wirkungen ihre Äußerungen in der Partei und in der Öffentlichkeit entfalten können. Gerade von Parteivorsitzenden der LINKEN muss man eine umsichtige, Brücken bauende Führungsrolle erwarten. Allerdings wurde es ihnen auch nicht leicht gemacht, diese Rolle zu übernehmen. Oft wurden sie nicht solidarisch unterstützt, sondern aus verschiedener Sicht öffentlich kritisiert bzw. in Frage gestellt, durch Mitglieder des Parteivorstandes, durch Landesvorsitzende, durch führende Mitglieder des Bundestages und von Landtagen. Das hat ihre Autorität beschädigt und ihre Führungsfähigkeit beeinträchtigt. Gute Ergebnisse, z.B. die letztlich sehr erfolgreiche Programmdebatte und der durchaus motivierende Programmparteitag, werden kaum ihnen zugeordnet, obwohl sie es verdient hätten. Das Führungsproblem der LINKEN ist also sehr vielschichtig. Immer wieder werden Nebenkampfplätze eröffnet, was von den politischen Hauptkampffeldern ablenkt. Ich habe Zweifel, dass diejenigen, die oft stichwort- und tonangebend Personalfragen stellen und beantworten, eine größere Eignung für die Führungsämter besitzen.
Steffen Harzer: Die Frage greift zu kurz. Die LINKE hat das Problem, dass sie bundesweit mit ihren Inhalten kaum in der Öffentlichkeit ist. Das hat auch mit der Berichterstattung der Medien zu tun, vor allem aber liegen die Ursachen im Inneren. Wir brauchen eine gemeinsame Strategie, wie wir wieder stärker präsent werden, und hier ist natürlich die Parteiführung als erstes gefragt, aber eben nicht nur sie. Stattdessen werden öffentliche Personaldebatten und nun eine Diskussion über den Zeitpunkt des Wahlparteitages geführt. Hierzu gibt es einen Beschluss des Parteivorstands. Wenn da Änderungen gewünscht sind, sollten sich die Landesvorsitzenden mit dem Parteivorstand zusammensetzen, reden, ein gemeinsames Vorgehen festlegen und sich daran halten. Diese Art der Debatte immer wieder über die Medien anzuheizen, ist für mich der falsche Weg, Entscheidungsorgane der Partei gibt es, damit sie etwas entscheiden, dafür sind nicht die Medien zuständig.
Heinz-Werner Jezewski: Die LINKE hat, wie so viele emanzipatorische und partizipative Projekte, ein Problem mit Führung insgesamt. Das trägt in meinen Augen zur Attraktivität solcher Projekte bei, mag aber in der Außenwirkung oft auch negativ sein. Ein Problem mit der gegenwärtigen Führung sehe ich hingegen nicht. Die Vorsitzenden ernten Lob und Kritik. Das ist so, wenn man an verantwortlicher Stelle arbeitet. Um mit einem berüchtigten Konservativen zu sprechen: »Wer Everybody's Darling sein will, ist schnell jedermanns Depp!«
Janine Wissler: Die LINKE hat derzeit in der Tat ein Problem. Wer dies aber zu einem reinen Führungsproblem erklärt, macht es sich zu einfach. Denn das hieße, wir müssten einfach nur die Spitze auswechseln, damit die Partei wieder in die Offensive kommt. Die Probleme liegen aber tiefer. Zum einen müssen wir uns seit 2009 gegenüber einer SPD profilieren, die nicht mehr in der Regierung ist und zunehmend unsere Forderungen kopiert. Zum anderen müssen wir klarer erkennbar als Partner aller Gruppen in Erscheinung treten, die sich gegen die Angriffe durch Unternehmen und die Regierung zur Wehr setzen.
Deshalb müssen wir unsere Probleme politisch lösen und nicht durch den Austausch von Köpfen. Neue Vorsitzende würden vor den gleichen Problemen stehen wie die jetzigen.
Die LINKE sollte sich weniger mit sich selbst beschäftigen, sondern müsste sich stärker mit den Herausforderungen dieses krisenhaften Kapitalismus auseinandersetzen. Wir müssen wahrnehmbar für die Menschen sein, die jetzt mit Unsicherheit, Ungerechtigkeit und der Prekarisierung ihres Lebens konfrontiert werden.
Gerade angesichts der Krise muss die Partei linke Antworten auf die Probleme geben, gerade auch um nationalistischen und rechtsradikalen Tendenzen entgegenzuwirken.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.