Die Protestler und die taubstummen Politiker

Britische Labour-Partei enttäuscht antikapitalistische Demonstranten

  • Ian King, London
  • Lesedauer: 3 Min.
Seit Wochen demonstrieren antikapitalistische Protestler auf den Treppen der St. Pauls-Kathedrale, am Wochenende besetzten tausend von ihnen den Platz vor dem Parlamentsgebäude. Doch Regierung und Labour-Opposition sind taub und stumm gegenüber den Protestforderungen.

Die Besetzer der Kathedrale der anglikanischen Staatskirche stellen berechtigte, wenn auch diffus wirkende Fragen. »Was würde Jesus tun?« mag in einem anders als die USA religiös indifferenten Land weltfremd klingen; dass dieser aber die Geldwechsler aus dem Tempel hinauswarf, wissen viele noch aus der Schulzeit. Und dass die Kasinobankiers und Börsenmakler keinen Freibrief für ihre Tätigkeit im Neuen Testament finden, ist ebenfalls klar. Mag die Londoner Metropolitan Police bei den Protestlern einen Verstoß gegen die Bannmeile feststellen - das noch ungeahndete Verbrechen der Herren des Universums gegen ihre Landsleute wiegt schwerer.

200 »Jugendliche im Kampf um Arbeitsplätze« nahmen an einem Protestmarsch vom nordostenglischen Jarrow nach London teil, wie ihre Großväter 1936 während der Weltwirtschaftskrise. Die jungen Job-Protestler aus dem Armenhaus Jarrow bei Newcastle schrieben in ihrer Petition spezifischere Forderungen: Ein Programm für den sozialen Wohnungsbau solle gleichzeitig Arbeitsplätze und dringend benötigten, billigen Wohnraum schaffen. Das von der rechten Koalition abgeschaffte Schüler-Bafög solle wieder in Kraft gesetzt werden, die unerschwinglich gewordene Studiengebühr von 10 000 Euro im Jahr verschwinden. Mehr Lehrstellen und die Wiedereröffnung von der Koalition dicht gemachter Jugendzentren stehen ebenfalls auf der Forderungsliste. Die rabiate Kürzungspolitik der Regierung lehnen die Protestler ab.

Labours Wahlkreisabgeordneter für Jarrow, Stephen Hepburn, und Bob Crow, der linke Chef der Eisenbahner-Gewerkschaft, empfingen die Marschierer am Londoner Trafalgar Square und boten ihre Unterstützung an. Doch kein Koalitionsminister ließ sich blicken. Eine plötzliche Bekehrung der konservativen und liberalen Parteichefs, David Cameron und Nick Clegg, wie sie Paulus auf der Straße nach Damaskus erlebte, dürfte nicht zu erwarten sein.

Eine noch größere Enttäuschung für die Protestler stellt jedoch Labour dar. Als Ed Miliband seinen älteren Bruder, den Blair-Getreuen David, im Kampf um die Parteiführung bezwang, wollte er die allzu mittige New-Labour-Linie begraben. Nie wieder sollten sich Labour-Minister bei den Geldleuten der Londoner City lieb Kind machen, um mit deren Steuerobolus soziale Wohltaten zu finanzieren. Aus der Bankenkrise 2008 schien der jüngere Miliband gelernt zu haben, sein Finanzsprecher Ed Balls wetterte gegen zu schnelle, zu einschneidende Kürzungen durch die Tories. In seiner Parteitagsrede vor fünf Wochen kritisierte Ed Miliband noch den egoistischen, rücksichtslos profitorientierten Kasino-Kapitalismus. Der Oppositionsführer ist kein Theoretiker und erst recht kein Charismatiker; aber er schien auf ehrlicher Suche nach einer anderen Politik zu sein.

Heute sehen Linke Labour nüchterner. Denn sowohl bei den Besetzern auf den Kathedraletreppen als auch am Trafalgar Square fehlte die Labour-Prominenz. Wie neuerdings sogar Merkel und Sarkozy verlangen die Antikapitalisten eine Tobin-Steuer auf jede Finanztransaktion, während Labour-Finanzsprecher Balls noch immer die Londoner City vor jeglicher Konkurrenz schützen will und jede noch so geringe Steuer ablehnt. Fazit: Guter Rat ist vorhanden, aber Labour stellt sich taubstumm. Wie lange noch?

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