Regierung ohne Pflegeplan
Aus höheren Pflegebeiträgen sollen ab 2013 Leistungen für Demenzkranke verbessert werden
Was Sonntagabend zum Thema Pflege beschlossen wurde, ist eigentlich die Kapitulation vor den demografischen Herausforderungen, wie es der Vorsitzende des Paritätischen Gesamtverbandes, Eberhard Jüttner, ausdrückte.
Der Pflegebeitrag soll zum 1. Januar 2013 um 0,1 Punkte auf 2,05 Prozent steigen. Auf diese Weise sollen ambulante Geldleistungen für Pflegebedürftige mit erhöhtem Betreuungsbedarf, die Demenzkranken, gesteigert und die Betreuung im stationären Bereich ausgebaut werden. Bis zum Ende der Wahlperiode sollen die Arbeiten an einer systematischen Besserstellung der Demenzkranken in der Pflegeversicherung abgeschlossen sein. Dazu will man einen Regierungsbeirat wieder beleben, der bereits der Vorvorgängerin Ulla Schmidt (SPD) des jetzigen Bundesgesundheitsministers Daniel Bahr (FDP) Vorschläge gemacht hatte. Weiterhin sollen die Versicherten künftig nach dem Vorbild der Riester-Rente steuerlich gefördert Geld ansparen, auf freiwilliger Basis.
Angesichts der erschreckenden Prognosen aus der demografischen Entwicklung, die spätestens für 2060 eine Verdopplung der Zahl der verwirrten Menschen auf knapp drei Millionen vorhersagen, und der beinahe täglich in den Medien vorkommenden Berichte über unhaltbare Zustände in der Betreuung Pflegebedürftiger ist das Ergebnis beinahe beschämend. Der Vorsitzende der Arbeiterwohlfahrt, Wolfgang Stadler, sagte: »Eine Beitragserhöhung ersetzt kein tragfähiges Gesamtkonzept, von dem die Regierung noch immer meilenweit entfernt ist.« Der Pflegeexperte des Verbraucherzentrale Bundesverbands, Dieter Lang, hält die Beitragsanhebung für »reine Symbolpolitik«. Für Annelie Buntenbach vom Deutschen Gewerkschaftsbund sind die Beschlüsse der Koalition eine Riesenenttäuschung. Ähnlich äußerten sich der Deutsche Pflegerat, der Sozialverband VdK, die Volkssolidarität und die Deutsche Hospiz Stiftung.
»Was die Regierungskoalition nun im Jahr der Pflege zustande gebracht hat, verdient nicht einmal die Beschreibung Pflegereförmchen«, erklärt Kathrin Senger-Schäfer, pflegepolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. Die Versicherungsunternehmen könnten auf ein ertragreiches Geschäft hoffen, und mit Verbesserungen für Demenzkranke sei erst in über einem Jahr zu rechnen. Außerdem reichten die finanziellen Mittel bei Weitem nicht aus. »Im Klartext bedeutet eine solche kostenneutrale Umsetzung des neuen Pflegebegriffs Leistungskürzungen bei allen Leistungsempfängern«, so Senger-Schäfer. Union und FDP denken nur bis zum Wahljahr 2013, in dem sie kleine Wohltaten für demenziell erkrankte Menschen verteilen wollen, urteilt Elisabeth Scharfenberg von den Grünen.
Die Koalition kündigte die Erarbeitung von Eckpunkten an. Danach werde ein Gesetzentwurf vorgelegt. Kommentar Seite 4
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