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Auf dem Samtsofa und auf Reisen

Elif Batuman: Begeisterung für alles Russische

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Besessenen« - auch wenn der Buchtitel lediglich dem Kapitel über Dostojewskis berühmten Roman entlehnt ist, Elif Batuman bezieht »possessed« auch auf sich selbst. »Begeisterung für alles Russische« - mit ihrem Geigenlehrer Maxim begann es und setzte sich fort über »Eugen Onegin«, damals noch in der englischen Fassung von Nabokov, und »Anna Karenina«, durchgeschmökert auf dem dunkelroten Samtsofa der Großmutter in Ankara. Eine Literatur, »die wirklich etwas bedeutet« und eine Sprache, »in der die Form eine ideale Spiegelung des Inhalts war« - ganz und gar aus eigenem Antrieb hat Elif Batuman mit ihren Studien begonnen, die sie über die Literaturwissenschaft zum eigenen Schreiben führten.

Eine junge Frau, 1977 in New York geboren, wie gesagt, türkischer Herkunft, auffallend durch Körpergröße und Energie. Sie ist unternehmungslustig und sie will ihren Weg gehen. So kommt der Reiz des Buches auch aus der Kraft, die es verströmt. »Abenteuer mit russischen Büchern und ihren Lesern« - der Untertitel sagt, was man bei der Lektüre zu erwarten hat: Literaturbetrachtungen, gemischt mit bunten Begebenheiten aus dem Leben der Autorin, die Spaß am Turbulenten hat. Verliebtheit an der Stanford-Universität und bizarre Erlebnisse in Samarkand, eine Tolstoi-Konferenz in Jasnaja Poljana, die in manchen Momenten wie absurdes Theater erscheint, Moskau, Petersburg, Florenz - und immer sind in Gedanken russische Schriftsteller dabei, die über ihre Werke für sie lebendig werden. - Ganz anders als es in meinem Slawistikstudium war, in dem alles auf Sinnhaftes, Wesentliches, Gesetzmäßiges hinauslief.

Elif Batuman lebt in einem anderen Koordinatensystem, Zusammenhänge stellen sich ihr anders her. Bei ihren Forschungen zu Isaac Babel kann sie zwar die Frage nicht beantworten, warum er 1933 aus Paris nach Moskau zurückkehrte, nachdem er ein Jahr vorher noch darum gekämpft hatte, ins Ausland gehen zu dürfen, aber sie findet heraus, dass Captain Caldwell Cooper, der spätere Autor und Produzent von »King Kong« jener gefangene Pilot war, den Babel 1920 verhörte. Sie erkundet Puschkins Spuren in der Türkei (wobei ihre Tante, die beim Geheimdienst ist, sie beschatten lässt), sucht in Jasnaja Poljana nach Bilsenkraut (ob Tolstoi gar ermordet wurde?), fühlt sich wie eine Figur von Borges, während sie in die Rätsel der altusbekischen Poesie einzudringen sucht, ist fasziniert von Tschechows »Schwarzem Mönch«. Kein Wort während meines Studiums über Iwan Laschetschnikows »Eispalast« von 1835. Er war ja auch nur ein Unterhaltungsschriftsteller, aber die darin beschriebene Laune der Zarin Anna hätte man, wie »Wikipedia« sagt, auch in einer Erzählung Juri Nagibins von 1986 nachlesen können. Elif Batuman hat sogar den für eine Saison wiederaufgebauten Eispalast in St. Petersburg besucht.

Mit nie erlahmender Neugier nimmt sie uns mit in eine Welt aus Einzelheiten. Sie verblüfft immer wieder, fordert mitunter auch zum Widerspruch heraus, wenn sie in Dostojewskis »Dämonen«, bei ihr, wie gesagt mit »Die Besessenen« oder mit »Böse Geister« übersetzt, weniger eine weltanschauliche Auseinandersetzung, die Warnung vor einer Diktatur mit sozialistischen Zielen sieht, als das interessante Phänomen eines charismatischen Menschen, der ihr während der Lektüre auch leibhaftig begegnet. Die Aufnahme russischer Literatur war doch lange Zeit - so oder so - ideologisch geprägt. Auch in den USA kann es für Erstaunen gesorgt haben, wie jemand so völlig frei ist von den Systemauseinandersetzungen der Vergangenheit. So offen kann man aufeinander zugehen, zeigt Elif Batuman. Mit Humor und Leichtigkeit lässt sich auch noch die schwierigste Situation bestehen. Die Haltung des Verstehen-Wollens ist hier wichtiger als das Ergebnis selbst. »Ist es nicht der Sinn der Liebe, immer noch mehr zu erfahren, immer tiefer einzutauchen - bis zur Besessenheit?«


Elif Batuman. Die Besessenen. Abenteuer mit russischen Büchern und ihren Lesern. Aus dem Amerikanischen von Renate Orth- Guttmann. Kein & Aber. 367 S., geb., 22,90 €.

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