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Papa pomponiert
Andrea Jennert erzählt von der Liebe zu Claude Debussy
Die kleine Chouchou ist nicht gerade das, was man ein Wunschkind nennt. Als der Komponist Claude Debussy bei Tisch erfährt, dass er Vater wird, kann er sein Unglück nicht fassen: »Claude legte seine Serviette sehr langsam auf den Tisch, schob sich hoch, schob den Stuhl zurück, ging steif aus dem Raum und sagte leise: ›Entschuldigt bitte, ich muss arbeiten.‹« Auch Emma reagiert nicht eben euphorisch auf die Erkenntnis ihrer Schwangerschaft. Der Frau an des Genius' Seite tritt der Schweiß auf die Stirn.
Andrea Jennerts Roman ist biografisch insofern, als die darin agierenden Figuren ebenso verbürgt sind wie die sorgsam recherchierten Fakten und Zitate. Dieses Gerüst dient der Autorin als Bühne. Ihre künstlerische Absicht ist es indessen nur am Rande, ein akribisch an den Tatsachen orientiertes Porträt zu schaffen. Vielmehr ist es ihr um die sinnliche Nachempfindung der Gefühle jener Frau zu tun, die ihrer Hingabe an den bewunderten Mann und an dessen Musik eine gesicherte Existenz als Bankiersgattin und angesehene Salonière opfert. »Die Liebe der Emma Debussy« heißt Andrea Jennerts Roman »La Mer« im Untertitel.
Emma Bardac ist Anfang vierzig und zweifache Mutter, als Debussy leibhaftig in ihr Leben tritt. Die impressionistische Klangkunst dieses Komponisten hatte die Saiten ihrer Seele länger schon sehnsuchtsvoll schwingen lassen. Nun bringt Emmas erwachsener Sohn Raoul, Debussys Schüler am Pariser Conservatoire, den Lehrer mit ins elterliche Haus, wo die Mutter regelmäßig erlesene Tonkünstler empfängt, um Kostproben ihres Schaffens zu erbitten und Konversation zu treiben.
Bereits bei dieser ersten Begegnung – gleichsam ein unschuldiger Strandspaziergang an der Seite des schicksalhaften Fremden – meint man, in Emma das Meer toben zu hören. Es wird sie fortreißen ins Ungewisse. Ohne Zaudern lichtet sie alle Anker im sicheren Hafen, lässt Ehemann und Kinder zurück. Tage und Nächte des Rauschs erlebt Emma mit Claude in Dieppe an der Alabasterküste. In schäumenden Wellen reißt die Liebe ihr alle Garderobe vom Leib. Sie lässt es geschehen, genießt. Noch muss der hohe Preis der Leidenschaft nicht bezahlt werden. In diesen ekstatischen Zeiten arbeitet Claude Debussy an seinen sinfonischen Skizzen »La Mer«.
Der Flut folgt die Ebbe, aber nicht jeder Ebbe eine neue Flut – in der Liebe. Es ist nicht der gesellschaftliche Skandal, den die Liaison des Bohèmiens und der Gutbürgerlichen auslöst, es sind auch nicht die materiellen Einbußen, die Emma in die Verzweiflung stürzen. Es ist das Gewahrwerden der Untiefen, die sich auftun im täglichen Zusammenleben mit einem, der sein ganzes Sein der Kunst verschrieben hat. Mehr noch als die körperliche Absenz des Mannes schmerzt Emma die geistig-seelische Abwesenheit Debussys, wenn die Musik Besitz von ihm ergreift. Still leidend fügt sie sich in die Rolle der Dienenden.
Erst Chouchou, das ungewollte Kind, ringt dem Vater einen Verzicht ab, der sich auch als Gewinn begreifen ließe. Wird die liebende Zuwendung zum Töchterchen auch jäh unterbrochen von Arbeitsanfällen – »Papa pomponiert« –, so ist sie es doch, die dem uferlosen Künstlergeist wieder festen Boden unter die Füße schiebt. »La Mer«, Werk des auffahrenden Genius, fällt beim Publikum durch, »Chil- dren's Corner«, Chouchou gewidmet, erfährt tosenden Applaus. Emma, wissend, dass nichts wird, wie es war, versöhnt sich mit dem Schicksal, in dessen Skript freilich auch der Tod eingeschrieben ist. Er erst erinnert Emma daran, dass sie selbst Musik geschrieben hat.
Emma sieht Töne in Farben. Andrea Jennerts impressionistisch stimmungsvoll getupfter Roman schimmert in allen Facetten von Grün und Grau.
Andrea Jennert: La Mer. Die Liebe der Emma Debussy. Roman. Plöttner Verlag. 260 S., geb., 19,90 €
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