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Verschwörungen, Verrat

Mit Umberto Eco auf dem »Friedhof in Prag«

  • Uli Gellermann
  • Lesedauer: 4 Min.

Bald kommen sie wieder, die dunklen Tage und die vereisten Straßen, die Abende, an denen Kerzen offene Feuer imaginieren und die Rettung der persönlichen Welt in einem Glühwein liegt – und einem Buch. Das Buch zum Winter 2011 hat Umberto Eco für den Leser an der Heizung bereitgelegt: »Der Friedhof von Prag« heißt es. Um Verschwörungen geht es, um Geheimnisse und Verrat und auch um die »Protokolle der Weisen von Zion«, jenes antisemitische, einst vom zaristischen Geheimdienst geklitterte Machwerk, das bis in unsere Tage in den Gehirnwindungen rechter Dumpfbacken lagert. Dass die umsatzstärkste Handelskette der Welt, »Wal-Mart«, die vorgeblichen Protokolle bis ins Jahr 2004 erfolgreich verkaufte, beweist nachdrücklich, wie aktuell Ecos Roman gelesen werden kann.

Mit Ecos Hauptfigur, Hauptmann Simone Simonini, ist ein Europa des 19. Jahrhunderts zu besichtigen, das mit seinen Revolutionen in Frankreich und Österreich, der Herausbildung der späten Nationen in Deutschland und Italien und den Tagen der Pariser Kommune dem Neuen Bahn brach und zugleich tiefe Verunsicherung im Alten auslöste. In dieser Verunsicherung der zu Zeiten Herrschenden und ihrer konservativen Anhänger blühten die Geheimbünde von den Carbonari bis zu den Freimaurern, wucherten die Geheimdienste und florierten die Verschwörungen. Mit Simonini, dem verqueren Spross eines katholisch-antisemitischen Haushaltes aus Piemont, der erstmals gegen Ende des Buches »eine Frau in der ganzen unerträglichen Pracht ihres entblößten Leibes« sieht, zugleich nach ihr giert und sich vor ihr fürchtet, wandern wir durch das beginnende Italien und das erschütterte Frankreich. Simonini ist der geborene Spitzel und Fälscher, einer, der den Diensten das liefert, was sie brauchen: nicht Informationen, sondern Fälschungen jener Art, die den Behörden ihre Vorurteile bestätigen, künstliche Komplotte, damit die Agenturen etwas zum Aufdecken entdecken können.

Drei Erzähler nutzt der Autor, um das ganze Panorama geheimdienstlicher Niedrigkeit auszubreiten: Simonini selbst, dessen Alter Ego, den Abbé Dalla Picolla (weil so viel Mord- und Totschlag, so viel sinistre Fantasie und rachsüchtige Energie kaum nur einer Figur aufzubürden wären) und den eigentlichen Erzähler, der scheinbar von außen jene langen, gewundenen Geschichten zu einem Roman fügt. Würde man sie ihres historischen Hintergrundes entkleiden, könnten sie den Drehbüchern der CIA, des KGB oder des Mossad entsprungen sein. Denn letztlich ist der heutige »Kampf gegen den Terror« nichts anderes als die Neuauflage des Kampfes gegen die vorgeblich jüdische Unterwanderung der französischen Armee wie in der Dreyfus-Affaire. Und wer sich an die erfundenen Atomwaffen in Irak erinnern mag, wird diese Form der nützlichen Lüge, vielfach historisch verkleidet, in Ecos Buch wiederfinden.

Selbst während der Perestroika, des Um-und-Um-Baus der Sowjetunion, tauchten die »Protokolle der Weisen von Zion« in den russischen Medien wieder auf, diesmal mit der Sprengung der Moskauer Metro ausgestattet, wo sie doch in ihrer ursprünglichen Fassung der Untergrundbahn in Paris gegolten hatten.

»Dazwischen Mädchen mit zu früh faltig gewordenen Gesichtern und blassem Teint, die aussahen wie Puppen für arme Kinder«, wie es von einer Kaschemme der Pariser Unterwelt heißt. Solche und ähnliche dichte Sprachbilder gelingen Umberto Eco immer wieder und erinnern an seinen großen, populären Roman »Der Name der Rose«.

Während Eco damals mit dem Ebenbild des mittelalterlichen William of Ockam einen Mönch detektivisch handeln ließ, einen frühen Aufklärer, der im Streit mit dem Papst um die Frage des kollektiven oder privaten Eigentums der Kirche lag, muss der Leser sich heute mit dem erbärmlichen Spitzel Simonini begnügen, der unter Aufklärung bestenfalls Enthüllung versteht und dessen Streitopfer nicht selten in den Pariser Abwasserkanälen landen. Doch für Freunde des Gruselns wird der reich bebilderte Band vieles bereit halten. Auf- und abgeklärten Lesern, denen vor gar nichts gruselt, mag das Buch eben ein wundervoll formuliertes völlig unschädliches Schlafmittel sein. Der nächste Winter kommt bestimmt.

Umberto Eco: Der Friedhof in Prag. Roman. A. d. Ital. v. Burkhart Kroeber. C. Hanser. 528 S., geb., 26 €

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