Balanceakt in China
Kontrollierte Wachstumseinschränkung und gelockerte Geldpolitik
Ende dieses Jahres wird sich erhärten, dass China der zweitwichtigste Außenhandelspartner Deutschlands ist. Nach 132 Milliarden Euro Gesamtumsatz im Vorjahr wird für 2011 eine weitere kräftige Steigerung erwartet. Damit rangiert das Reich der Mitte nach Frankreich nun vor den Niederlanden und den USA bei steigender Werthaltigkeit des Produkt- und Dienstleistungsaustauschs.
Auf der Hand liegt das Interesse des Exportweltmeisters China, dass die europäische Staatsschuldenkrise möglichst bald in beherrschbare Bahnen gelenkt und die Wirtschaftskooperation mit den EU-Ländern weiter ausgebaut werden kann. Dies umso mehr, als die Regierung im eigenen Land in strukturbestimmenden Bereichen darauf zielt, Umfang und Tempo des Wachstums in diesem Jahr auf unter zehn Prozent zu drosseln. Dabei soll die Entwicklung in Richtung Erhöhung der Produktqualität, geringerer Ressourcenverbrauch und größere Energieverbrauchseffizienz forciert werden. Am Donnerstag wurde dementsprechend über die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua mitgeteilt, dass erstmals seit drei Jahren die Industrieproduktion sinke. Die Gratwanderung zwischen kontrollierter Einschränkung des Wirtschaftswachstums und Exportminderung aufgrund der Krise in der Eurozone und den USA wird schwieriger.
Zugleich gilt es, die Inflationsrate gerade auch im sensiblen Bereich der Lebensmittelpreise von zeitweilig 6,5 Prozent in diesem Sommer spürbar zu senken. Äußerlich mit am sichtbarsten spiegeln sich diese Herausforderungen in der überdimensionierten Entwicklung am Immobilienmarkt und den damit zusammenhängenden kräftigen Preissteigerungen in der Bauwirtschaft wider. Gegen die Vermutung, dass es auch in China zum Platzen einer Immobilienblase kommen wird, spricht, dass im Unterschied zu den westlichen Ländern die allermeisten Immobilien vollständig oder mit einem hohen Anteil an Eigenkapital gebaut sowie gekauft werden. Außerdem kann der Staat als Hauptanteilseigner der Banken deren Zusammenbrechen durch rechtzeitiges Intervenieren verhindern. Zudem wurde ein kommunaler Wohnungsbau gestartet, der in den Besitzverhältnissen in etwa dem deutscher Wohnungsbaugenossenschaften entspricht.
Der Staat greift aber auch in anderen Bereichen korrigierend ein: Das Eisenbahnministerium - in China bislang ein beargwöhntes kleines Königreich, dem rund zwei Millionen Beschäftigte unterstehen - ist auch wegen des zu rasanten Ausbaus des Hochgeschwindigkeits-Streckennetzes seit 2008 auf derzeit rund 7800 Kilometer, einschließlich neuer Bahnhöfe, Brücken und Tunnel, in ernste Budgetprobleme geraten. Die Krise wurde noch verschärft durch den unsachgemäßen Umgang mit technischer Ausrüstung und Korruption in Größenordnung. Das kostete den Eisenbahnminister im Februar 2011 sein Amt. Denn alles in allem stand sein Ministerium mit über 200 Milliarden Yuan (circa 25 Milliarden Euro) bei Banken und Bauträgerfirmen in der Schuld. Deshalb wurde nun politisch entschieden, das Schienennetz in den Jahren des 12. Fünfjahrplans (2011-2015) langsamer auszubauen.
In diesem Zusammenhang tritt zunehmend in den Vordergrund, dass die Regierung in Bereichen wie Immobilien und überdimensioniertem Infrastrukturausbau die Liquiditätsflut eindämmen muss. Zugleich darf aber - trotz relativ niedriger Zinsen - die zu geringe Kapitalausstattung vieler Unternehmen nicht weiter zugespitzt werden. Sie würden rasch bankrott gehen, mit allen daraus erwachsenden sozialen Folgen. Die nach wie vor dominierenden vier halbstaatlichen Großbanken werden daher in der Kreditvergabe und Zinsfestlegung wesentlich an staatliche Auflagen gebunden bleiben. Dementsprechend verfügte die Zentralbank am Mittwoch eine Senkung der Mindestreserve-Anforderungen für die Großbanken ab 5. Dezember von 21,5 auf 21 Prozent. Damit kann die Kreditvergabe kräftig ausgeweitet werden.
Ein Balanceakt, der angesichts der niedrigen Staatsverschuldung - offiziell wird eine Quote von 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (2010: 5,878 Billionen US-Dollar) angegeben - beherrschbar bleibt. Peking ist damit in der Lage, Geld dorthin zu lenken, wo es notwendig ist. Dabei wird vor allem solchen Maßnahmen der Vorrang eingeräumt, die der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich entgegenwirken.
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