Das Naheliegende

  • Sergej Lochthofen
  • Lesedauer: 3 Min.

Merkwürdig. Den Ruf, gesetzesfürchtige Menschen zu sein, haben sich die Deutschen redlich verdient. Nirgendwo in Europa scheint das Netz der Gebote so eng geknüpft wie hier, nirgendwo glaubt man so sehr an die Allmacht der Gesetze. An jeder Straßenampel kann man den Unterschied zwischen Berlin und Paris, ganz zu schweigen von Rom oder Moskau, studieren.

Und doch tun sich gerade die Deutschen mit dem Naheliegenden schwer: Dem längst überfälligen Verbot der NPD. Einer Partei, deren Verfassungsfeindlichkeit kaum ernsthaft bestritten werden kann.

Die kaltblütigen Morde des Terror-Trios aus Thüringen haben die Diskussion neu entfacht. Die Reihen derer, die dieses Mal fest entschlossen sind, die Sache zu Ende zu bringen, wachsen stetig. Es bilden sich ungeahnte Allianzen: Denn wenn der CSU-Vorsitzende das Gleiche fordert wie die Parteispitze der Linken, wer würde dem noch widersprechen wollen?

Indes, auch jetzt sind Zweifel angebracht, ob die obersten Richter dem Drängen der Mehrheit nachkommen. Nicht, weil die Bedenken der Gegner durch die blutigen Ereignisse bestätigt wurden. Nein. Das Gegenteil ist der Fall. Die an ihrem Ursprungsort Jena, fast wie an einen Slapstick-Film erinnernden Geschehnisse, bei denen wechselweise Polizei und Verfassungsschutz über die eigenen Beine stolperten, offenbaren zwei Dinge: Das Dulden einer Nazi-Partei verhindert mitnichten einen rechten terroristischen Untergrund, und nicht der Verfassungsschutz führte die V-Männer, sondern die V-Männer führten den Verfassungsschutz vor.

Das hieße mit Blick auf Karlsruhe: Die Rolle der Informanten aus der Szene, von denen jeder ein Nazi war und blieb, ist bereits beim ersten Versuch maßlos übertrieben worden. Sie dienten schon damals einer Minderheit der Richter als Mittel zum Zweck, um die nicht immer segensreiche Tradition einer sehr legalistischen, von einem Bezug zur Realität entbundenen Rechtsauffassung Geltung zu verschaffen.

So ist aller Vernunft zum Trotz nicht auszuschließen, dass auch ein neues Verbotsverfahren scheitert.

Zumal die Mahner, da die Überzeugungskraft ihrer Argumente schwindet, plötzlich einen Nachweis für eine Beteiligung von NPD-Mitgliedern an der Mordserie fordern. Ein absurder Vorgang. Wir hätten aus der Geschichte nichts gelernt, wenn wir um die Symbiose der Eichmänner und Demjanjuks nichts wüssten. So bieder sie daher kommen mögen.

Damit kein Zweifel aufkommt: Die Zerschlagung der NPD ist nicht die Lösung für alle mit Rassenhass und Ausländerfeindlichkeit verbundenen Gebrechen dieser Gesellschaft, aber gerade ein Verbot würde die rechte Szene an ihrer empfindlichsten Stelle treffen: dem Geld. Die professionellen Hetzer brauchten viel Zeit und Mittel, um neue Strukturen zu schaffen. Wenn es ihnen überhaupt auf's Neue gelingen sollte. Zeit, die nicht nur die Politik, sondern auch und vor allem die Bürgergesellschaft nutzen kann, um den Abwehrring dichter zu ziehen. Selbst der Osten ist nicht mehr in der gleichen prekären Lage wie in den 90er Jahren.

Natürlich ist am Ende auch eine andere typisch deutsche Lösung denkbar: Wenn selbst der Papst in diesem Land mit einem Bußgeld rechnen muss, weil er im Papa-Mobil ohne Gurt fuhr, warum verklagt keiner dieser findigen Juristen einfach den Staat? Einen Staat, der seine unbescholtenen Bürger dazu zwingt, mit ihren Steuern eine verfassungsfeindliche Partei zu finanzieren. Abwegig?

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